„Die Daten-Schnittstelle ist der Container des 21. Jahrhunderts“

Andreas Nettsträter, CEO der Open Logistics Foundation, über die Bedeutung von Open-Source-Lösungen für effiziente und nachhaltige Lieferketten

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Der Container, in den heute bekannten Standardmaßen, wurde vom US-amerikanischen Reeder Malcolm McLean in den 1950er Jahren erfunden. Er hat die Be- und Entladung von Schiffen nicht nur effizienter gemacht, sondern gleich die gesamte Logistik revolutioniert. Seine Lösung war so bahnbrechend, dass sie im Markt breite Akzeptanz fand und sich als „De-facto-Standard“ durchsetzte. Dafür gibt es sogar eine Definition: inoffizielle, aber allgemein als verbindlich akzeptiertes Produkt­merkmal oder technische Lösung.

Mit der Einführung des Containers wurden auch neue, internationale Gerätestandards entwickelt. Hier einer der ersten Straddle Carrier aus den früher 70er Jahren.

Das Patent von Malcolm McLean auf seinen Container konnte sich auch deshalb so gut durchsetzen, weil er seinerzeit lizenz­gebühren­frei der Internationalen Organisation für Normung überließ. Er hoffte, dass die gesamte Logistik davon profitieren würde und der Erfolg seines Geschäfts nicht von einem Ladungs­träger abhinge. So wurde der Container das, was unsere Open Logistics Foundation heute als Commodity bezeichnet: ein Dienst, der für die Unternehmen nicht wett­bewerbs­differenzierend ist und die Logistik in ihrer Gesamtheit besser machen kann.

Digitale Logistik erschließt Optimierungspotenziale

Seit den Zeiten Malcolm McLeans ist die Logistik immer komplexer geworden und vernetzt sich rasant weiter. Optimierungs­potenziale werden heute nicht mehr durch die physische Logistik, sondern durch die digitale Logistik gehoben. Was Mitte der 1950er Jahre der Container war, das ist im 21. Jahr­hundert die Daten-Schnitt­stelle.

Schnittstellen sorgen dafür, dass die vielen Stakeholder in der Logistik – auf dem Wasser, auf der Schiene, auf der Straße und in der Luft – genau aufeinander abgestimmt interagieren können. Wer die vielen unter­schiedlichen Schnitt­stellen überwinden will, der sollte heute nicht mehr auf Alleingänge setzen. Dieses Bewusst­sein setzt sich bei den Logistik­unternehmen in Deutschland und Europa langsam durch. Sie erkennen die Notwendigkeit einer gemeinschaft­lichen Entwicklung von Open-Source-Software.

Noch viele isolierte Lösungen

Dass bislang ausgerechnet in der Logistik so viele parallele und damit isolierte Lösungen für ein- und dieselbe Frage­stellung entstanden sind, erscheint aus heutiger Sicht geradezu paradox. Denn die Logistik lebt wie wohl keine andere Branche davon, eine Vielzahl von Stake­holdern – vom internationalen Konzern bis zur lokalen Spedition – miteinander zu verbinden und zu vernetzen. Silo­denken hilft da nicht weiter, erst recht nicht im Zeitalter der Digitalisierung, in dem die Währung „Inter­operabilität“ heißt.

Der extreme Wett­bewerbs­druck in der Logistik mag ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass sich Unternehmen in der Vergangen­heit vorwiegend auf ihr eigenes Tun fokussiert haben. Dabei gibt es schon lange kaum mehr Berührungs­ängste, Software einzusetzen, die komplett oder teilweise auf Open Source basiert.

In der Bürokommunikation, in der Lager­verwaltung oder der Maschinen­steuerung - laut Digitalverband Bitkom nutzen heute bereits sieben von zehn Unternehmen der deutschen Wirtschaft lizenzfreie Software. Das entscheidende Potenzial des Open-Source-Ansatzes bleibt so allerdings ungenutzt: die gemeinschaft­liche Entwicklung der Software. Unsere Organisation, die Open Logistics Foundation, will genau das tun.

Elektronische Frachtbriefe, Sendungsverfolgung oder Zollprozesse

Vier international tätige Logistik­unternehmen mit Sitz in Deutschland – Dachser, DB Schenker, duisport/Duisburger Hafen und Rhenus Logistics – haben die Stiftung Ende 2021 gegründet. Seitdem sind viele weitere Unternehmen, Logistiker und auch IT- und Soft­ware­anbieter, aus zahlreichen Ländern dazugekommen. Uns verbindet die Überzeugung, durch Zusammen­arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Wett­bewerbs­fähigkeit der Logistik­branche in Europa und der Welt leisten zu können.

Die Zusammenarbeit konzentriert sich dabei ausdrücklich auf solche Bereiche, in denen Unternehmen gerade nicht im Wettbewerb stehen, aber bislang trotzdem eigene Lösungen entwickelt haben: die sogenannten Commoditys. Aktuelle Themen der Open Logistics Foundation sind beispielsweise der elektronische Frachtbrief im Güterverkehr und der One Record-Standard in der Luftfracht, für die bereits Referenz­implementierungen vorliegen, sowie eine Unter­stützung bei der Sendungs­verfolgung oder Zollprozessen.

Die Open Logistics Foundation ermöglicht es Unternehmen, die Kosten und Ressourcen in der Entwicklung von Software auf mehrere Schultern zu verteilen. Gleichzeitig – und dies ist vielleicht das wichtigste Anliegen – setzen sich Lösungen, die von vielen Unternehmen gestaltet werden, am Markt schneller durch. Über eine breite Akzeptanz der Lösungen werden so De-facto-Standards geschaffen.

Gemeinsames Verständnis zur Lösung der Probleme herstellen

In diesem Sinn bietet die Open Logistics Foundation Unternehmen aus der Logistik­branche – vom Logistik­dienst­leister über das Logistik-IT-Unternehmen bis zum Hafen­betreiber – einen Raum und einen Rahmen zur Entwicklung von Open-Source-Lösungen, basierend auf fairen und neutralen Prozessen und geleitet von gemeinsamen Werten und Grundsätzen.

Unternehmen können sich in einer globalen Open-Source-Community miteinander über aktuelle Heraus­forderungen austauschen, die alle gleicher­maßen betreffen, in Working Groups ein gemeinsames Verständnis zur Lösung der Probleme herstellen und in konkreten Projekten gemeinschaftlich Software entwickeln und diese implementieren. Die Open Logistics Foundation versteht sich dabei als Enabler von Open-Source-Lösungen und übernimmt in dem Prozess die Rolle des Moderators.

Was den Vater des Containers, Malcolm McLean, ausgezeichnet hat, das lebt auch die Open-Source-Community der Open Logistics Foundation. Das offene Mindset der Mitglieder, die Bereitschaft, Wissen und Erfahrungen zu teilen, und eine wertschätzende Zusammen­arbeit auf Augenhöhe haben Silo­denken hier längst aufgebrochen.

Wer sich für die Foundation oder eine Zusammen­arbeit interessiert, kann sich gerne bei mir melden!

Andreas Nettsträter: andreas.nettstraeter@openlogisticsfoundation.org

Oder auf unserer Webseite vorbeischauen: https://www.openlogisticsfoundation.org/

Veröffentlicht am 17.4.2024