Rückkehr der dampfenden Loks

Die weltweit ersten Wasserstoff-Züge rollen emissionsfrei durch Norddeutschland. Das HHLA-Magazin wirft einen Blick in die Bahn-Zukunft.

  • Schiene & Straße
  • Klimaschutz
  • Wasserstoff

Statt Dieselqualm könnten Züge bald nur noch Wasserdampf in die Luft lassen. Allerdings nicht aus klassischen Dampfmaschinen, sondern aus Wasserstoff-Brennstoffzellen. Im norddeutschen Bremervörde fährt der weltweit erste Linienverkehr mit diesem Antrieb. Das HHLA-Magazin hat sich den sauberen Schienenverkehr der Zukunft ganz genau angeschaut.

Im Schritttempo rollt Christian Glauner mit seinem Personenzug über die Gleise am Bahnhof Bremervörde. Die Fahrt zum anderen Ende des Betriebsgeländes der Elbe-Weser-Verkehrsbetriebe (EVB führt an einen „Schienenbus“ aus den 1950er vorbei, der als Moorexpress im Touristikverkehr eingesetzt wird. „Hier kann auf wenigen Metern Entfernung große Zeitsprünge erleben“, schmunzelt Glauner, Teamleiter Triebfahrzeugführer der EVB. 

Weichenstellung für den klimafreundlichen Nahverkehr: Chef-Lokführer Christian Glauner lenkt den weltweit ersten Wasserstoff-Zug.

Tatsächlich rollt sein Zug gerade Richtung Zukunft. Der Chef-Lokführer will den Triebwagen betanken - nicht wie bislang üblich mit Diesel, sondern mit Wasserstoff. Das blau-weiß-gelbe Fahrzeug vom Typ Alstom Coradia iLINT ist ein „Leichter Innovativer Nahverkehrstriebwagen“. Das kleine i markiert den Unterschied: Statt von Dieselmotoren wird die neueste Variante im EVB-Fuhrpark von Elektromotoren angetrieben, die ihren Strom aus Wasserstoff-Brennstoffzellen beziehen.

Weltweit Vorreiter beim Einsatz von Wasserstoff auf der Schiene

14 Exemplare dieses Typs werden auf den EVB-Gleisen zwischen Bremerhaven, Cuxhaven und Buxtehude fahren. Zurzeit werden die letzten Exemplare ausgeliefert - es ist die weltweit erste Flotte von Wasserstoffzügen im regulären Betrieb. Das klima- und umweltfreundliche Beispiel soll nun Schule machen: die EVB, der Zughersteller Alstom und das Smart Mobility Institute Bremerhaven arbeiten mit weiteren Partnern daran, Rangierloks auch im Hamburger Hafen mit Wasserstoff zu betreiben.

Startklar für die Zukunft: Im EVB-Schienennetz werden nach und nach alle Dieseltriebwagen (rechts im Bild) durch Wasserstoff-Personenzüge (links) ersetzt. Der Unterschied ist äußerlich nur an den flachen Dachaufbauten zu erkennen, in dem sich die H2-Tanks und die Brennstoffzellen befinden. Im Inneren ist die Zukunft deutlicher zu spüren: die neuen Züge sind leiser als die alten Dieselfahrzeuge.

Wasserstoff als Kraftquelle für Lokomotiven? Das ist neu und richtungsweisend. Das gasförmige Element - auch Hydrogen oder H2 genannt - gilt als Energieträger der Zukunft. Es wird durch Elektrolyse aus Wasser gewonnen. Wird dafür Strom aus erneuerbaren Quellen verwendet, spricht man spricht man von „grünem“ Wasserstoff. In der Brennstoffzelle verbindet er sich wieder mit Sauerstoff. Dabei wird elektrische Energie freigesetzt - als einzige Emission entsteht Wasserdampf und ein bisschen Kondenswasser. 

„Das ist doch eine saubere Sache“, bringt es Christian Glauner auf den Punkt. Noch ist grüner Wasserstoff nicht in ausreichender Menge verfügbar. „Bis dahin betreiben wir unsere Züge mit so genanntem grauen Wasserstoff“, erläutert Tilmann Rös, stellvertretender Geschäftsbereichsleiter Schienenfahrzeugtechnik der EVB. 

Grünen Wasserstoff bald selbst produzieren

Das Gas entsteht als Nebenprodukt in einem Chemiewerk in Stade und wird in Spezialcontainern nach Bremervörde geliefert. Das Ende der Übergangslösung ist abzusehen. Gleich neben der „Tankstelle“ will die EVB eine eigene Windkraftanlage und einen Elektrolyseur installieren. „In etwa drei Jahren werden wir grünen Wasserstoff selbst produzieren“, betont Rös.

Warum stellt die EVB ihre Triebwagenflotte schon jetzt auf Wasserstoff um? Das 1907 gegründete Unternehmen ist mit seinen Personen- und Güterzügen sowie den ÖPNV- und Reisebussen einer der wichtigsten Verkehrsdienstleister im Elbe-Weser-Raum. Als Logistikunternehmen ist die EVB sogar bundesweit aktiv.

Die „Heimatstrecke“ im 235 Kilometer langen EVB-Schienennetz, die RB 33 von Cuxhaven über Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude gehört zu den Linien, deren Elektrifizierung als nicht realistisch gilt. Für solche Strecken suchte die Landesverkehrsgesellschaft Niedersachsen LNVG nach Alternativen und stellte 2014 die Weichen Richtung Zukunft: Gemeinsam mit dem Zughersteller Alstom konnte die EVB AB 2018 zwei Jahre lang mit zwei in Deutschland entwickelten Wasserstoff-Zügen erste Alltagserfahrungen im Linienverkehr sammeln.

Wasserstoff-Züge ersetzen die letzten Diesel-Loks

Das Projekt war erfolgreich: Seit Sommer 2022 werden deshalb die bisherigen Diesel-Triebwagen nach und nach durch Wasserstoff-Züge ersetzt. Zunächst werden 14 saubere Triebwagen auf den EVB-Schienen rollen. Gut möglich, dass noch weitere Regionen dem Vorbild folgen. „Um noch mehr für den Klimaschutz zu tun, werden wir keine Dieselfahrzeuge mehr kaufen“, versichert Carmen Schwabl, Sprecherin der LNVG-Geschäftsführung LNVG. Ihr gehören sämtliche Nahverkehrszüge in Niedersachsen, darunter noch 126 Dieseltriebwagen.

Lokführer Glauner hat in der Zwischenzeit seinen Zug an der Tankstelle gestoppt. Direkt am Gleis steht eine Art Schaltschrank mit einem Kartenleser, einem Monitor und zwei Druckschläuchen, deren Durchmesser ungefähr dem eines Gartenschlauches entspricht. Der eigentliche Vorgang des Tankens unterscheidet sich kaum von den Abläufen zum Beispiel an einer LPG-Zapfsäule für gasbetriebene Pkw. 

Einfacher Handgriff mit großer Wirkung: Lokführer Christian Glauner betankt seinen Nahverkehrszug vom Typ Alstom Coradia iLINT mit Wasserstoff.

Glauner identifiziert sich zunächst mit einer Tankkarte; dann schließt er das Kopfventil eines der beiden Hochdruckschlauches an den Tankstutzen des Zuges an und verriegelt es - alles Weitere übernimmt die Anlage. Sensoren überwachen, dass alles seine Richtigkeit hat. Hydrogen ist nicht gefährlicher als andere Kraftstoffe - selbst wenn es aus einer undichten Verbindung austräte, würde es sich ganz schnell verflüchtigen: „Wasserstoff ist leichter als Luft“, weiß der Lokführer. 

Zukunftschance Wasserstoff

Die HHLA will im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie bis 2040 klimaneutral werden. Wasserstoff leistet dazu als Energieträger einen wesentlichen Beitrag. Wir stellen die HHLA-Projekte dazu vor.

Weiterlesen

Mit der Wasserstoff-Tankstelle verfügt die EVB bereits über einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum klimaneutralen Schienenverkehr.  Die Anlage wurde vom Gashersteller und Engineering-Unternehmen Linde als Prototyp gebaut. Mit einer Lagerkapazität von 1800 kg Wasserstoff gilt sie als eine der weltweit größten Tankstellen dieser Art. Normalerweise wird Wasserstoff in großen, kugelförmigen Tanks gelagert. Für EVB und Alstom ersetzte Linde die großen „Bälle“ durch 64 röhrenförmige Konstantdruckspeicher, in die der Wasserstoff mit Hilfe von Hydraulikstempeln mit 500 bar Druck gepresst wird. Rund 1600 kg Wasserstoff kann die Tankstelle innerhalb von 24 Stunden an die Züge abgeben. 

Beim Tanken ungefährlich: Wasserstoff

Jeder Triebwagen verfügt über zwei Tanks mit jeweils 130 kg Fassungsvermögen, die wie auch die beiden Brennstoffzellen aus Sicherheitsgründen auf dem Dach montiert sind. Bei einer Leckage würde der Wasserstoff nach oben entweichen. wie schon gesagt: das Element ist leichter als Luft. 

Die Brennstoffzellen mit einer Leistung von jeweils 200 kW liefern permanent Strom, der in Batterien zwischengespeichert und dann an die beiden je 272 kW starken Elektromotoren abgegeben wird. „Wir verbrauchen etwa 26 Kilogramm Wasserstoff pro 100 Kilometer“, weiß der Lokführer. Stolz verweist er auf eine leuchtend rote Plakette am Bug seines Zuges: „Dieses Fahrzeug hat mit einer Gesamtstrecke von 1175 km ohne nachzutanken einen Weltrekord aufgestellt.“ 

Bis an dieses Limit gehen die EVB-Züge nicht. Schon deutlich vor der 1000-km-Marke lege sie einen Zwischenstopp an der Tankstelle ein. Gerade einmal 15 Minuten dauert der Tankvorgang: „Kann wieder losgehen“, verkündet Glauner. 

Brennstoffzellen für Rangierloks?

EVB-Güterloks und -züge rollen auch regelmäßig durch den Hamburger Hafen. Ob sich die Wasserstofftechnologie allerdings für den Güterverkehr eignet, erprobt derzeit das Smart Mobility Institute Bremerhaven. Mittelfristig könnten Rangierloks mit Brennstoff-Zellen und Elektromotoren ausgestattet werden. In dem Forschungsprojekt sH2unter (shunter ist das englische Fachwort für Rangierer) wollen EVB und Alstom gemeinsam mit weiteren Partnern die Anforderungen an solche Loks ermitteln. 

Die Herausforderung steckt in der hohen und schnell wechselnden Leistung, die Rangierloks erbringen müssen. Die kräftigen Lastesel lassen sich wegen der besonderen Anforderungen des Rangierbetriebes weder aus Oberleitungen noch aus Batterien mit elektrischer Energie versorgen. „Vor diesem Hintergrund ist die Wasserstofftechnologie für den Rangierbetrieb besonders interessant“, sind die Projektpartner überzeugt. Auch die HHLA Bahntochter Metrans sieht beim Rangieren die besten Einsatzmöglichkeiten.

Bis Ende Mai 2024 soll die Grundlagenarbeit abgeschlossen sein, die H2-getriebene Rangierlok könnte erste Fahrversuche absolviert haben. Im Personenverkehr gehören Wasserstoff-Züge dann im Elbe-Weser-Dreieck längst zum Alltag - auch wenn die Fahrgäste das vielleicht gar nicht mitbekommen. „Man merkt es nur an einem Detail. Die neuen Züge sind dank der Brennstoffzellen und Elektromotoren viel leiser als die Dieseltriebwagen“, sagt Glauner.

Veröffentlicht am 12.09.2023