Neue Technologien, neues Arbeiten

Wir können Arbeit aktiv und vorausschauend gestalten, bevor die Technologie das erledigt - Clarissa Groß im HHLA Talk.

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Schon seit vielen Jahren geistert der Begriff „New Work“ durch die Unternehmen. Funktioniert dieses Konzept auch im Hafen oder auf dem Umschlagbahnhof? Welche Rolle spielt die Neugierde und wie wird verhindert, dass New Work nicht als Kulisse genutzt wird, sondern Ergebnisse und Vorteile bringt? Wir haben Clarissa Groß, Leiterin der HHLA die Personalentwicklung, dazu befragt. Sie argumentiert, dass eine neue Art zu arbeiten nicht die zwangsläufige Konsequenz neuer Technologien ist. Also sollten wir die Zukunft der Arbeit lieber aktiv und vorausschauend gestalten.

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Oliver Driesen: Die Sprache des Managements bringt immer wieder englische Fachbegriffe hervor. Einer davon lautet "new work," was weniger elegant klingt, wenn man es übersetzt als "Neues Arbeiten". New work ist dabei so neu gar nicht mehr. Erste Ansätze zu dieser Arbeitstheorie gab es schon in den späten 1970er Jahren, doch das Thema scheint zeitlos aktuell zu bleiben. Nun kann man sich fragen, ob das neue Arbeiten nur für reine Bürojobs ein Thema ist, oder auch dort, wo täglich Tausende von Containern umgeschlagen werden und wo komplexe multimodale Verkehrsströme abzuwickeln sind. Anders gefragt: Wie geht New Work im Hafen? Geht das überhaupt? Ideale Gesprächspartnerin ist natürlich Clarissa Groß als Leiterin der HHLA Personalentwicklung. Clarissa, herzlich Willkommen!

Clarissa Groß: Hallo Oliver, ich freue mich sehr, heute hier zu sein.

Oliver Driesen: Und da bin ich auch gleich bei meiner ersten Frage. Dass man sich mit einer Führungskraft aus der Personalentwicklung duzt, ist noch nicht überall üblich. Zeigt sich da auch schon New Work?

Clarissa Groß: Ein bisschen vielleicht schon, aber auch bei der HHLA wird noch nicht überall geduzt. Das unterscheidet sich je nach Bereich oder Ebene. Beim durchgängigen Du sind wir noch nicht gelandet, allerdings war es im Hafen immer schon normal, per du zu sein. Ich arbeite sehr gerne mit dem Du und habe das Gefühl, das setzt sich mehr und mehr durch. Ich finde es gut, das organisch entstehen zu lassen, und auch total legitim, dass beispielsweise nicht jeder Vorstand von allen Personen geduzt werden möchte. Das macht ihn nicht weniger modern. In der Personalentwicklung arbeiten wir gerne mit dem Du. Auch in Workshops nutzen wir das meistens, einfach weil es Nähe schafft und man leichter ins Gespräch kommt.

Oliver Driesen: In New Work, neues Arbeiten, da steckt ja das neue und die Neugier schon drin. Ich nehme an, du bist von Natur aus ein neugieriger Mensch.

Clarissa Groß: Ja, das würde ich schon sagen. Ich glaube, das gehört auch ein bisschen dazu, wenn man meinen Job machen möchte, sich zu interessieren für neue Dinge. Manchmal interessiere ich mich fast ein bisschen zu viel, denn das große Feld von Lern-Inhalten, der Blick auf Organisationen und Arbeitswelten bietet ganz, ganz viel Stoff, um neugierig zu sein. Da brauche ich manchmal im Gegenteil eher einen Fokus hier und da, um sich auf das zu konzentrieren, was richtig wichtig ist.

Oliver Driesen: Ist persönliche #Neugier heute für Führungskräfte und Arbeitnehmer insgesamt eine wichtigere Eigenschaft geworden?

Clarissa Groß: Ob sie wichtiger geworden ist, das weiß ich nicht, aber sie war wohl immer schon wichtig. Vielleicht ist sie noch wichtiger geworden, weil sich die Dinge noch schneller verändern, als sie sich vor 100 Jahren verändert haben. Wenn wir uns den technologischen Fortschritt angucken, dann muss ich heute ein Stück weit neugierig bleiben, weil die Technologien, mit denen ich starte ins Berufsleben, die werden auf jeden Fall andere sein, wenn ich mal rausgehe.

Oliver Driesen: Darauf werden wir gleich noch näher eingehen. Wie passt diese große Bedeutung von Neugierde zur Unternehmenskultur der HHLA?

Clarissa Groß: Sehr, sehr gut, würde ich sagen, und auch deswegen arbeite ich gerne hier. Das ist bei uns Teil der DNA, gerade auch, wenn man an unser Kerngeschäft denkt, das Containersegment. Da haben wir immer schon Veränderungen mitgemacht und auch ganz aktiv mitgeprägt. Wo früher mal Säcke umgeschlagen wurden, werden heute Container umgeschlagen. Immer wieder gibt es Anlässe für Neugierde und für Neuerungen, und ich finde das total schön. Gerade wenn man mit Kollegen oder Kolleginnen aus der Terminalentwicklung spricht oder auch aus der HHLA Next, die sich ganz konkret um neue Geschäftsideen und Startup-Modelle kümmert, dann sind da unheimlich viele neugierige Menschen. Die braucht es, um neue Dinge auszuprobieren, Dinge anders zu machen und zu schauen, wo können wir noch ein bisschen besser werden.

Oliver Driesen: Ich habe es anfangs schon mal angedeutet: Viele Themen von New Work scheinen auf den ersten Blick besser in eine reine Bürowelt zu passen - also Werbeagenturen, Banken, Versicherungen - weil es da erst mal leichter scheint, die Arbeitsbedingungen für alle zu optimieren. Man ist halt nicht so mit irgendwelchen Sachzwängen aus der physischen Welt befasst und davon eingeschränkt. In einem Hafen und in einem Unternehmen wie der HHLA, da geht's aber eben um tonnenschwere Container, um Lkw, Frachtschiffe, Güterzüge. Die müssen bei jedem Wetter zum Zeitpunkt X am Ort Y sein. Hat für dich und für eure Personalentwicklung also New Work ganz andere Aspekte als für so ein Bürounternehmen?

Clarissa Groß: Ich würde sagen: ja und nein. Wir sollten mal hingucken, wo kam dieser Begriff eigentlich her? Du hast es eingangs gesagt: geprägt in den 1970er Jahren, insofern gar nicht mehr so neu. Der ursprüngliche Ansatz hinter dieser Arbeitstheorie war eher eine Kritik am Wirtschaftssystem, wie es zu dieser Zeit funktioniert hat. Es kam die revolutionäre Idee auf, die Leute sollen das arbeiten, was sie gerne arbeiten möchten, mit einem stärkeren Fokus auf #Sinnerfüllung. Insofern finde ich es sehr spannend, dass wir heute ganz oft den Begriff New Work nutzen als Sammelbecken für neue Arbeitsmethoden, für Tischkicker, für mehr Flexibilität. Für mich ist es viel spannender hinzugucken, wie können wir Arbeit besser machen. Und zwar genau da, wo sie passiert, und genau mit den Möglichkeiten, die es gibt. Es ist keine so spannende Diskussion, darüber nachzudenken, ob Hafenarbeiter genauso im Homeoffice arbeiten können - zumindest heute noch nicht. Vielleicht wird das in den nächsten Jahren mal eine spannender, wenn sich die Arbeitsprofile im Hafen ändern.

Oliver Driesen: Das ist auch meine nächste Frage. Überall in der Wirtschaft, aber eben besonders im Hafen, verändert die technische Entwicklung die Arbeit. Auszubildende zum Beispiel müssen heute ja fürchten, dass ihr Fachberuf in einem Jahrzehnt ganz anders aussieht oder in dieser Form gar nicht mehr existiert. Ist das eigentlich ein neues Phänomen?

Clarissa Groß: Erst mal glaube ich gar nicht, dass Auszubildende sich fürchten müssen. Im Gegenteil: sie haben heute eine riesengroße Chance, weil sie mit einer ganz anderen Selbstverständlichkeit bei der Nutzung von Technologien ins Unternehmen kommen. Dadurch können sie auch von Anfang an die Zukunft mitgestalten. Sogar desto mehr, umso schneller sich diese Entwicklungen fortsetzen. Insofern: Furcht muss nicht sein. Im Gegenteil setzen wir sehr viel auf unsere jungen Nachwuchskräfte und Auszubildenden, die eine ganz andere Art von Selbstverständlichkeit haben, um mit einer höheren Dynamik und mit technologischen Fortschritten umzugehen. Aber natürlich entwickeln sich auch #Ausbildungsberufe weiter. Das ist schon etwas, wo wir hinschauen und fragen: welche fachlichen Ausbildungsberufe bieten den Kolleginnen und Kollegen auch weiterhin gute Zukunftsaussichten?

Oliver Driesen: Wie schnell und auf welche Weise verändern sich denn die Jobprofile im Hafen? Hast du da mal ein Beispiel?

Clarissa Groß: Ganz aktuell in den nächsten eins bis zwei Jahren wird uns beschäftigen, dass zu einem zunehmenden Teil Arbeit über Fernsteuerung passiert. Also draußen am Hafen gibt es heute schon einige Geräte - und wird zukünftig noch mehr geben - die nicht mehr auf dem Großgerät selbst gesteuert werden, sondern aus der Ferne heraus. Heute passiert das noch nicht im Homeoffice, sondern immer noch am Terminal vor Ort. Aber der Arbeitsalltag verändert sich natürlich dadurch enorm.

Oliver Driesen: Ja, selbst Hafenschlepper können ja heute schon, zumindest im Modellversuch, von irgendeinem Terminal aus ferngesteuert werden, theoretisch ohne dass eine Besatzung an Bord ist.

Clarissa Groß: Ganz genau, und es gibt auch Beispiele von Häfen, wo einzelne Aufgaben sogar aus anderen Ländern heraus mit #Fernsteuerung bedient werden, weil es eben diese örtliche Nähe nicht mehr braucht. Ein anderes Beispiel aus den technischen Berufsbildern: Geräte heutzutage haben nicht nur Schrauben in sich, sondern auch ganz viel Software. Das heißt, in den Ausbildungsberufen, gerade in technischen Bereichen, spielt das heute eine ganz große Rolle.

Oliver Driesen: Damit hast du eigentlich schon eine Frage zum Teil beantwortet, die ich jetzt stellen wollte. Wenn man sich die Automatisierung und den Vormarsch, der vorstellt, was macht die HHLA als Ausbilder denn dann trotzdem attraktiv?

Clarissa Groß: Auch hier würde ich wieder sagen, das macht die HHLA nicht trotzdem attraktiv, sondern gerade deswegen. Für junge Menschen, die gerade von der Schule kommen, ist es hochspannend, sich beispielweise in KI-Themen einzudenken.

Oliver Driesen: All diese Prozesse und Entwicklungen und neuen Technologiefelder, die du jetzt schon erwähnt hast, werden die Arbeit im Hafen also umfassend verändern. New Work also im wörtlichen Sinn. Wie bereitest du dich und deine Mitarbeitenden darauf vor?

Clarissa Groß: Ganz, ganz wichtig finde ich es, selbst zu lernen. Das ist also Personalentwicklung für unsere Personalabteilung. Wir beschäftigen uns selber mit technologischen Entwicklungen, mit Einsatzmöglichkeiten von #KI und probieren auch Dinge sozusagen mit uns selbst aus. So wollen wir weiterhin so gut es geht vor der Welle bleiben und nicht hinterher schwimmen.

Oliver Driesen: Dass die Berufsausbildung und Weiterbildung im Hafen sich durch die stürmischen technologischen Entwicklungen ebenfalls dynamisch verändern müssen, das ist klar. Ein konkretes Projekt in diesem Zusammenhang ist #PortSkill 4.0. Kannst du kurz erklären, worum es dabei geht?

Clarissa Groß: Wie der Name schon sagt, beschäftigt sich das mit Fähigkeiten und Kompetenzen, die zukünftig im Hafen benötigt werden. Das ist ein ganz spannendes Forschungsprojekt, das im Verbund organisiert ist. Das ist auch deswegen so spannend und wichtig, weil natürlich die technologische Entwicklung und die Veränderung von Jobprofilen auch für Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielt. Welche Verantwortung haben wir für unsere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, wie sorgt der technologische Fortschritt dafür, dass neue Berufsbilder entstehen und dabei natürlich weiterhin Beschäftigung möglich bleibt?

Oliver Driesen: Wer gehört zu diesem Verbund?

Clarissa Groß: Da ist die Gewerkschaft Verdi mit an Bord. Das ganze Projekt wird geleitet von einem Bildungsträger, mit dem wir in der Hafenwirtschaft ganz eng zusammenarbeiten, dem ma-co, also maritimes competenzcentrum. Und wir als HHLA sind auch mit dabei. Eine Kollegin aus meinem Team ist intensiv da involviert, und auch andere Hafenunternehmen sind beteiligt.

Oliver Driesen: Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es bei PortSkill 4.0 auch darum zeitgemässe Lernformate zu entwickeln oder anzuwenden. Das heißt, traditionelles Lernen, Methoden aus den klassischen Berufen funktionieren im modernen Hafen nicht mehr? Wie muss ich mir so ein zeitgemäßes Lernformat praktisch vorstellen?

Clarissa Groß: Also im im Projekt erforschen wir Möglichkeiten, zum Beispiel auch virtuelle Realität, also #VR und AR-Technologien einzusetzen für Trainings. Es liegt ein Stück weit auf der Hand, weil ich heutzutage andere Möglichkeiten habe, Personen auch für ganz praktische Einsätze auszubilden. Das heißt, ich muss das nicht mehr auf dem Originalgerät am Terminal machen, sondern ich kann das auch in einer geschützten Umgebung tun. Da arbeite ich dann mit Simulationsgeräten und eben Virtual Reality, um beispielsweise auch Notfälle wie Brände auf dem Terminal zu simulieren. Das kann ich natürlich in der in der echten Welt nicht so einfach tun. Da bietet die die virtuelle Welt ganz viele tolle Möglichkeiten, die wir gerade austesten.

Oliver Driesen: Wer heute New Work sagt oder von neuen, zeitgemäßen Arbeitsformen spricht, der verwendet meistens auch zwei Begriffe, nämlich Agilität und Resilienz. Das sind zwei Qualitäten, die Mitarbeitende heute in fast jedem Beruf brauchen. Wie würdest du diese beiden viel verwendeten Vokabeln denn im Zusammenhang des Hafens erklären?

Clarissa Groß: Wenn wir mit der Agilität anfangen, dann ist mein Verständnis davon eine grundsätzliche Haltung, mit der ich an Problemstellungen rangehe, nämlich in einem eher itterativen Vorgehen. Das heißt, ich taste mich voran.

Oliver Driesen: Schritt für Schritt...

Clarissa Groß: Ganz genau. Die #Agilität kommt ursprünglich aus der Softwareentwicklung. Da war es als erstes ganz deutlich spürbar, dass ich nicht mehr ein Projektzeitraum von vier Jahren ansetzen kann und nur am Anfang einmal plane, wie die Software aussehen soll. Innerhalb dieser vier Jahre verändern sich die Technologie, die Möglichkeiten, die Ansprüche an Lösungen. Und das erleben wir inzwischen nicht mehr nur bei der Softwareentwicklung, sondern bei ganz, ganz vielen Themen. Schrittweise vorgehen, zwischendurch immer wieder zu prüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind, Feedbackschleifen einbauen usw. Es haben sich ganz andere Herangehensweise an Projekte und jegliche Problemstellungen entwickelt.

Oliver Driesen: Und Resilienz?

Clarissa Groß: #Resilienz ist auch ein Wort, was gerade in den Zeiten der Corona-Krise, sehr stark und häufig genutzt wurde. Diese Jahre haben ganz stark dazu beigetragen, dass wir persönlich an bestimmten Stellen resilienter geworden sind. Auch Organisationen sind resilienter geworden - das meint eine gewisse Robustheit. Wenn ich durch Krisen durchgegangen bin und gelernt habe, an bestimmten Stellen neue Lösungsstrategien anzuwenden, dann hilft mir das in der Regel, um zukünftige Krisen besser bewältigen zu können.

Oliver Driesen: Ja, die Welt wird ja offenbar immer krisenhafter, leider, weswegen man dann eben Agilität und Resilienz braucht. Jetzt gibt's einen Satz aus dem Management- Chinesisch, der beschreibt die Welt, in der man diese Qualitäten braucht. Er heißt: aus der VUCA-Welt ist die BANI-Welt geworden. Das sind zwei Abkürzungen mit je vier Buchstaben, und die musst du jetzt mal für uns Normalsterbliche erst mal ins Deutsche übersetzen.

Clarissa Groß: Ich versuche es bei den Abkürzungen gleich mal auf Deutsch, das macht es ein bisschen einfacher. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder, auch in Managementkreisen, von der VUCA-Welt gesprochen. Auf deutsch übersetzt. Die vier Buchstaben stehen für die vier Begriffe: volatil, unsicher, komplex und uneindeutig. Ambiguität spielt hier eine große Rolle. Das ist auch so ein Begriff, den wir ganz häufig verwenden, wenn wir über sozusagen moderne Zeiten und Entwicklungen sprechen. In den Corona Jahren hat sich das geprägt. Auf größeren Konferenzen spricht man inzwischen von von der #BANI-Welt, um auszudrücken, diese Unsicherheit und Komplexität ist noch schneller, noch weniger vorhersehbar, noch brüchiger geworden. BANI beginnt mit brittle, also brüchig, angespannt, nicht liniar, unverständlich. Das zeigt ganz gut die diversen Krisen, die im Moment Einfluss nehmen auf Unternehmen, auf uns als Gesellschaft. Klimakrise und Kriege mitten in Europa, die wir uns so in den letzten Jahrzehnten nicht hätten vorstellen können, technologische Entwicklungen, die immer schneller funktionieren. BANI ist der Versuch auszudrücken, wie sich unsere Welt gerade verändert und was es dann braucht an Management- und Arbeitsmethoden.

Oliver Driesen: In dieser noch unberechenbarer gewordenen BANI-Welt, da muss die HHLA heute eben zurechtkommen, wie alle anderen auch. Inwiefern zeigt sich das Unternehmen - und natürlich auch die Personalentwicklung - heute: Agil und resilienter als noch vor zehn Jahren?

Clarissa Groß: Also ein Beispiel, was mir einfällt: wir entwickeln Konzepte nicht mehr so lange im stillen Kämmerlein. Wir probieren deutlich schneller Dinge aus. Wir starten mal mit ersten Pilotgruppen, wenn wir neue Lernangebote testen wollen. Zum Beispiel, wir nehmen sehr schnell andere Abteilungen, andere Kollegen und Kolleginnen mit an Bord, um Dinge zu verproben. Und das passiert nicht nur bei uns im Personalbereich, sondern an ganz vielen Stellen im Unternehmen. Dieses Herantasten an neue Lösungen und auch das viel schnellere Abstimmen von Zwischenergebnissen, das ist so ein Beispiel.

Oliver Driesen: Wie habt ihr das gelernt? Wir können große Organisationen überhaupt etwas lernen? Gibt's da zum Beispiel Seminare?

Clarissa Groß: Also, das perfekte Seminar um Lernen zu lernen hab ich noch nicht gefunden. Das ist aber auch gar nicht so wichtig. Auch das, was wir als Personalentwicklung an Seminaren anbieten, ist an der Stelle eigentlich zweitrangig. Wichtiger ist, dass es uns gelingt, miteinander festzustellen, dass es wichtig ist, DASS wir lernen. Dazu gehört übrigens auch, Dinge zu #verlernen. Das heißt, Leute lernen in unseren Seminaren und Programmen auch ganz viel, wie sie Dinge in Frage stellen, Dinge ausprobieren, gewohnte Muster und Rituale ablegen. Muss ich erst meinen Chef fragen, bevor ich mit der Kollegin aus der anderen Abteilung spreche? Das zu hinterfragen und es anders zu machen ist wichtig. Und manchmal muss man aushalten, dass das erst mal für Irritation sorgt in so einer Organisation.

Oliver Driesen: Ein großer Technologietrend sind heute die sogenannten datenbasierten Entscheidungen. Inwiefern spielen die bei der Personalauswahl und auch bei der Personalentwicklung eine Rolle, und wird das noch zunehmen?

Clarissa Groß: Also zunehmen wird das auf jeden Fall, wenn man sich Studien dazu anguckt und auch anschaut, was möglich ist und möglich sein wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass zukünftig auch große Teile von unserem Job, von meinem Job, durch KI gemacht oder unterstützt werden kann. Es gibt heute ja schon Möglichkeiten, in Lernformate das einzubinden. Eine KI kann dich begleiten durch den ganzen Arbeitsalltag, und du kannst ihr Fragen stellen zu dem, was du beispielsweise im Seminar gelernt hast.

Oliver Driesen: Ist das Thema Personalauswahl auch betroffen?

Clarissa Groß: Wir haben heute schon Möglichkeiten, zumindest ein #Pre-Screening zu machen. Es gibt Möglichkeiten, auf Social Media-Plattformen Profile vorher durchzugehen. Da haben viele erstmal Vorbehalte, im ersten Moment, weil sie sagen: ich will immer noch, dass Menschen sich das angucken, wenn es darum geht, Menschen einzustellen. Aber das eine wird das andere ja nicht vollständig ersetzen. Und gleichzeitig lernen wir auch, dass es zu durchaus guten Entscheidungen führt, wenn man gerade in diesen ersten Vorschritten auch datenbasiert arbeitet.

Oliver Driesen: Und datenbasiert heißt konkret, diese Profile aus Social Media, die wertet nicht der Mensch aus?

Clarissa Groß: Genau, das ist ein Beispiel.

Oliver Driesen: Jetzt haben wir viel über Veränderungen und Flexibilität gesprochen, als wenn das alles selbstverständlich wäre. Aber nicht alle schreien begeistert "Hurra!", wenn sie sich und ihre Art zu arbeiten nach vielen Jahren infrage stellen und neuen Bedürfnissen anpassen sollen. Diese Traditionalisten im Unternehmen, wie überzeugt man die, von alten eingefahrenen Strukturen auf neue Ideen umzuschwenken? Was sind da aus deiner Sicht die Anreize, die Incentives?

Clarissa Groß: Also erst mal finde ich, dass #Traditionalisten eine ganz wichtige Rolle spielen in Organisationen, denn keinem Unternehmen tut es gut, von heute auf morgen alles umzukrempeln und in Frage zu stellen. Bestimmte Dinge haben sich eingespielt, funktionieren gut. Insofern finde ich das immer ganz wichtig, mit Widerstand auch in diesem Sinne und mit dieser Haltung umzugehen. Der ist wichtig und sorgt für ein gutes Gegengewicht gegen all das, was man auf die Schnelle verändern möchte. Personen, die vielleicht eine wichtige zentrale Rolle spielen und kritisch Neuerungen gegenüber sind, sollten wir mit an den Tisch holen, ernst nehmen. Oft haben diese Personen auch gute Hinweise dazu, was auf keinen Fall verloren gehen darf bei all dem, was neu kommt. Das ist in der Regel auch ein Incentive, wenn du so willst. Es sorgt dafür, dass Personen sich ernst genommen fühlen.

Oliver Driesen: Aber wenn jemand es partout ablehnt, sich weiterzuentwickeln und eine neue Erkenntnis anzuwenden, kommen dann auch Druck und andere unangenehme Konsequenzen ins Spiel?

Clarissa Groß: Weiterentwicklung ist ja kein Selbstzweck. In der Regel gibt es einen Grund dafür, warum einzelne Personen etwas Neues lernen müssen und sich auf neue Dinge einstellen. Und da ist es ganz wichtig, dass auch #Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden im Gespräch bleiben, ihnen erklären, warum es so wichtig ist, bestimmte Dinge zu lernen und sich darauf einzulassen. Und dann ist es am Ende des Tages auch so, dass natürlich in einer Organisation niemand verhaftet ist und man sich auch entscheiden darf. Jeder kann sagen, den Weg gehe ich mit oder ich kann und will ich an dieser Stelle nicht mitgehen. Dann sind wir als HHLA ein Unternehmen, das sehr darauf bedacht ist, mit Mitarbeitenden gut im Gespräch zu sein. Wir schauen, wo gibt es vielleicht andere Möglichkeiten, wo diese Menschen besser eingesetzt werden können, wo es eine bessere Passung gibt zwischen dem, was die Person möchte und kann, und was das Unternehmen braucht.

Oliver Driesen: Vielleicht haben solche Mitarbeitenden, die sich als weniger flexibel zeigen, ja auch die Wahrnehmung, dass dieses New Work nur so eine Art vorgeschobene Kulisse ist, dass für sie das Arbeiten gar nicht besser wird, sondern sie nur zu mehr Leistungen antreiben soll. Wenn du so eine Befürchtung hörst, was sagst du dann?

Clarissa Groß: Zum Einen finde ich es genau aus dem Grund so wichtig, dass New Work nicht als Kulisse genutzt wird. Innerhalb der HHLA nutzen wir zum Beispiel New Work auch bewusst nicht als Begriff.

Oliver Driesen: Was sagt ihr?

Clarissa Groß: Wir geben dem Projekt in der Regel einen Namen, der dafür spricht: Wo kommen wir her und wo wollen wir hin? Weil es ja am Ende darum geht, verständlich zu machen, was ist eigentlich unser Ziel und was ist auch der Nutzen für die einzelnen Personen. Natürlich ist es nicht so, dass durch alles für alle immer alles besser wird. Damit muss man umgehen. Und da finde ich es genau falsch zu sagen: ich stelle euch einen Kicker hin oder ich gestalte einen Büroraum besonders fancy und neu. An manchen Stellen ist das total nett, und bitte nicht falsch verstehen: Ich finde auch Tischkicker total okay! Aber es ist nicht die Lösung für die Probleme, die die Leute wirklich umtreiben.

Oliver Driesen: Ein Faktor dafür, dass sich jemand weniger flexibel zeigt oder lernunwillig zeigt, kann fortgeschrittenes Alter sein. Es gibt sicher noch andere Faktoren. Muss man die Personalentwicklung also an die Altersstruktur eines Unternehmens wie die HHLA anpassen? Und wie kann man bei der Fortbildung besonders auf ältere Beschäftigte eingehen?

Clarissa Groß: Erst mal will ich sagen, dass ich ältere Beschäftigte nicht als lernunwillig erlebe. Im Gegenteil! Oft haben Kolleginnen und Kollegen, die nur noch wenige Berufsjahre vor sich haben, gerade ein ganz großes Interesse, zum Einen neues zu lernen, aber auch ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben. Was wir zum Beispiel machen und wovon alle Seiten, das sind #Mentorenprogramme. Wir bringen gerne Nachwuchskräfte, junge Leute zusammen mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Die lernen beide was dabei, und das ist total schön zu sehen.

Oliver Driesen: Gerade bei der HHLA und im Hafen arbeiten Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Herkunftsländern zusammen, und diese Mischung wird auch immer vielfältiger. Stichwort: Diversity. Wie begegnet die HHLA Herausforderungen sprachlicher und kultureller Art, damit eine multikulturelle Belegschaft optimal zusammenarbeitet?

Clarissa Groß: Also, das erste und wichtigste ist, dass wir als uns ganz klar positionieren für ein respektvolles Miteinander, für eine diskriminierungsfreie Arbeitsumgebung, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Ganz unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Alter, Geschlecht oder sonstigen Merkmalen. Hier bei der HHLA haben alle ein Zuhause. Die HHLA ist bunt und soll es auch bleiben.

Oliver Driesen: Manche Probleme bleiben trotzdem nicht aus, zum Beispiel sprachlicher Art.

Clarissa Groß: Ja, und deshalb freue ich mich sehr, dass wir vor einiger Zeit eine eigene Stelle dafür geschaffen haben, die Strategien entwickelt, um eben genau diese #Vielfalt auch optimal zu nutzen. Das Erste, was die Kollegin mir gesagt hat: es geht darum, ganz klar zu zeigen, Vielfalt ist ein Riesenvorteil, auch ein Wettbewerbsvorteil für uns als Unternehmen. Da gibt es verschiedenste Angebote, Möglichkeiten, Führungstrainings, wie wir mit vielfältigen unterschiedlichen Teams, unterschiedlicher Kultur gut umgehen gehen können. Was die Sprache angeht, ist das die einfachste Möglichkeit. Wir bieten eine Vielfalt an Sprachkursen hier intern an, übrigens auch immer mehr Deutschsprachige, die gerne Englischkurse besuchen wollen, damit sie sich im internationalen Umfeld und auch mit gemischten Teams gut verständigen können.

Oliver Driesen: So, jetzt muss ich dich aber doch noch zu einem Aspekt von New Work befragen, der für viele Mitarbeitende immer wichtiger wird: die bekannte Work-Life-Balance. Also, wie kann ich meinen harten Job bei der HHLA besser mit meinem Privatleben ausbalancieren. Zum Beispiel, wenn ich Kinder betreuen muss oder pflegebedürftige Eltern, aber auch mit meinen sonstigen Interessen? Geht das bei der HHLA überhaupt, weil hier doch alles nach dem Takt der Container tanzen muss?

Clarissa Groß: Ja, das geht auf jeden Fall! Das Wichtigste ist es, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, und die haben wir hier. Auch da ist es ein großer Vorteil, dass die HHLA ein stark mitbestimmtes Unternehmen ist, mit starken Vertretern, die sich auch für gute Arbeitsbedingungen in allen Bereichen einsetzen. Bedingungen, die genug Möglichkeiten lassen, um mit der Familie Zeit zu verbringen, auch wenn ich am Terminal in der Nachtschicht arbeite. Und natürlich nicht zu vergessen die Kolleginnen und Kollegen hier im Büro, die viele Möglichkeiten haben, flexibler zu arbeiten. Homeoffice ist weiterhin bei uns möglich, auch zu einem relativ hohen Anteil. Bis zu 100 Prozent #Homeoffice ist möglich, in Abstimmung mit der Führungskraft. So haben wir viele Möglichkeiten und Flexibilität. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Punkt.

Oliver Driesen: Also, ich habe heute gelernt, der rasante Wandel der Arbeitswelt im Hafen bringt eine Menge an Herausforderungen, aber auch Chancen für die Personalentwicklung und die Mitarbeitenden in der New Work. Eine neue Art zu arbeiten, ist die zwangsläufige Konsequenz neuer Technologien, besser also, man gestaltet sie aktiv und vorausschauend. Gelernt habe ich das von Clarissa Groß, meiner heutigen Gesprächspartnerin. Dafür ganz herzlichen Dank, Clarissa!

Clarissa Groß: Ich danke dir, Oliver.

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Das Interview führte Oliver Driesen im Juli 2024

Veröffentlicht am 26.7.2024