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Spektakulär ist an Alexander Rugensteins Arbeitsplatz nur der Blick aus dem Fenster. Schiffe passieren den Köhlbrand, einen Seitenarm der Elbe, und man sieht die riesigen Containerbrücken des HHLA Terminal Burchardkai arbeiten. Ansonsten stehen auf dem Schreibtisch ein Telefon und fünf große Monitore, gefüllt mit tabellarisch zusammengefassten Informationen sowie einer Vielzahl an Grafiken. Ähnlich könnte es auch bei einem Bankangestellten aussehen, würde nicht einer der Bildschirme eine interaktive Karte des Hamburger Hafens zeigen.
Hier arbeitet Rugenstein als Teil eines 18-köpfigen Teams für ein Unternehmen, das in der maritimen Welt einzigartig ist. Im HVCC Hamburg Vessel Coordination Center werden die Ankünfte und Abfahrten von knapp 3.000 Großschiffen sowie mehr als 7.000 Terminalanläufe von Feeder- und Binnenschiffen pro Jahr 24/7 geplant. „Da ist es schon ganz hilfreich, einen guten Überblick und nautische Erfahrung zu haben“, meint Alexander Rugenstein. Er selbst konnte als Erster Offizier auf einem Kreuzfahrtschiff solche Erfahrungen sammeln.
Schiffe kommen, Schiffe gehen - das ist der Alltag jedes Hafens. Warum bedarf es da einer lenkenden Hand? HVCC-Geschäftsführer Gerald Hirt hat die Frage erwartet: „Hamburg ist ein stark frequentierter Hafen, und die Schiffe werden immer größer. Aufgrund seiner geographischen Lage, die eine Revierfahrt auf der Elbe erfordert, und den vier großen Containerterminals sowie einer Vielzahl weiterer Terminals im Hafen bedarf es guter Koordination und Kooperation zwischen den beteiligten Unternehmen.“
Für die notwendige zuverlässige Planung sorgt HVCC, und damit auch für möglichst effiziente Abläufe und wenig Verzögerungen beim Ein- und Auslaufen sowie bei der Rotation in Hamburg. Das ist nötig, wie eine Auswahl der vielen Schiffsanläufe belegt: pro Jahr laufen hier deutlich mehr als 200 der größten Mega-Containerschiffe, ungefähr 1.800 Zubringerschiffe und 5.200 Binnenschiffe, dazu 100 Massengutfrachter mit großem Tiefgang und mehr als 80 Kreuzfahrtschiffe ein.
Leider reicht es nicht aus, wenn diese Schiffe ihre Ankunft beim jeweiligen Terminal anmelden. Ein Blick auf die Monitore von Alexander Rugenstein macht das deutlich. Es gibt eine Vielzahl an Regelungen und Restriktionen zu beachten. Da muss der Tiefgang von Großschiffen mit den unterschiedlichen Tidefenstern der Elbe abgestimmt werden. Oder ein Schiff dreht im Waltershofer Hafen und blockiert dabei Teile der Wasserstraße.
Hinzu kommen Windbedingungen, Wasserstände sowie Begegnungssituation der Schiffe auf der Elbe, die fortlaufend geplant und beobachtet werden müssen“, verdeutlicht Rugenstein die nautische Notwendigkeit des HVCC. „Länge, Breite und Dienstgeschwindigkeit des Schiffes, sein aktueller Standort, das Zielterminal, die voraussichtliche Liegezeit und so weiter – für jedes von uns betreute Schiff!
Die Informationen, mit den Alexander Rugenstein und seine Kollegen tagtäglich jonglieren, sind so umfangreich, dass eine komplexe, von HVCC selbst entwickelte Software sie unterstützen muss. „Ohne ein solches System könnten wir weder eine vorrauschauende Planung erstellen und noch diese ständig im Blick behalten“, betont Gerald Hirt. „Unsere Software gleicht beispielweise jede Minute 50.000 Schiffspositionen in Nordeuropa mit unseren Plandaten ab.“
Das Team in der Nautischen Terminal Koordination (NTK), in dem Rugenstein arbeitet, muss alle in den Hafen kommenden und abgehenden Schiffe für den laufenden und die folgenden Tage im Auge behalten. Deshalb die vielen Bildschirme. Die ersten überschlägigen Planungen werden dann Stunde für Stunde immer detaillierter. Telefonisch tauscht sich Rugenstein mit seinem unmittelbaren Kollegen aus, der ihm normalerweise gegenüber säße. Zur Sicherheit wechseln sich die beiden in Büro und Homeoffice ab, um sich nicht mit dem Corona-Virus zu infizieren.
Gerade meldet der Agent eines avisierten Containerschiffs, dass das Schiff mehr als angekündigt im Vorhafen geladen und deswegen einen höheren Tiefgang hat. Passt der Wasserstand während der geplanten Ankunft noch? Rugenstein und sein Kollege telefonieren zur Abstimmung mit allen Beteiligten und letztlich fällt eine Entscheidung: „Das wird zeitlich zu knapp“, heißt es nun.
Rugenstein bleibt ganz die Ruhe und beginnt mit der Planung aufs Neue. Die neue Planung betrifft den gesamten Verkehr zu dieser Zeit, und sie muss wiederum mit allen Beteiligten im Hafen abgestimmt werden. Ist der Liegeplatz auch später frei und ist dann auch genug Personal verfügbar, um das Schiff zu bearbeiten?
Am besten wäre es, wenn der Frachter erst am nächsten Tag käme, findet Rugenstein heraus. Er hat ein passendes Zeitfenster mit dem richtigen Wasserstand ausgearbeitet. Der Agent wird informiert, nach Rücksprache mit der Reederei und dem Schiff meldet er: „Das geht in Ordnung.“ Dass Rugenstein so etwas ungerührt hinnimmt, hat einen einfachen Grund: „Das ist unser Alltag; aufgrund dieser Dynamik ist das HVCC gegründet worden!“
Immer eine für alle Beteiligten tragbare Lösung zu finden, das ist die große Kunst in diesem Geschäft. Das HVCC-Team beherrscht sie ganz offensichtlich. Sie erstellen für alle Großcontainerschiffe, die aus Vorhäfen wie Rotterdam oder Southampton Hamburg ansteuern, so genannte Passageplanungen. „Wir sagen den Schiffsführungen darin ganz genau, wann sie im Vorhafen losfahren sollten und welche Geschwindigkeit sie einhalten müssten, damit sie passend in eine vorgeplante Verkehrslage hineinlaufen“, erläutert Geschäftsführer Hirt.
Natürlich sind die Pläne nicht in Stein gemeißelt - jede Änderung im Ablauf wird eingearbeitet. Die Kapitäne wissen, dass sie sich auf die Berechnungen der Hamburger verlassen können. „Die fragen bei uns an, sobald sie im Vorhafen festgemacht haben und ihre Planung für die anstehende Reise nach Hamburg beginnt“, sagt Hirt. Und sollte sich die Abfertigung des Schiffes verzögern, dann erhält HVCC automatisch beispielsweise durch eine IT-Schnittstelle aus den Systemen des Vorhafens eine Information.
Das Ganze ist mehr als ein guter Service des Hamburger Hafens. „Wir ermöglichen den Terminals, den Reedern und allen Beteiligten, ihre Ressourcen effizienter einzusetzen: Exakt geplante An- und Abfahrten ermöglichen, dass Hafenanlagen besser ausgelastet werden und Schiffe weniger Treibstoffe verbrauchen“, betont der Geschäftsführer. Und nicht zu vergessen: Eine effiziente Koordination reduzieren die Emissionen. Letztlich haben also auch die Umwelt und die Menschen in der Metropolregion Hamburg etwas davon.
Der Gedanke der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes stand bereits 2004 Pate, als die HHLA und EUROGATE, ihr Mitbewerber im Containerumschlag, das Projekt ins Leben riefen. Das Gemeinschaftsunternehmen wurde dann 2009 gegründet. Die erste Phase der Schiffskoordinierung begann mit der heutigen Abteilung Feeder Logistik Zentrale (FLZ). Denn die Feeder genannten Zubringerschiffe und Binnenschiffe pendeln nicht nur zwischen Ausgangs- und Zielhafen, sondern auch zwischen den verschiedenen Hamburger Terminals. Das sollte besser abgestimmt werden und funktionierte so gut, dass HVCC schnell sein Aufgabenspektrum erweiterte.
Das HVCC ist mittlerweile Dienstleister für eine Vielzahl von Unternehmen im Hafen, nicht nur Reeder und Terminals. Hervorragend funktioniert auch die Abstimmung mit der Nautischen Zentrale der HPA, resümiert Hirt: „Im Ergebnis können sich die Reeder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und müssen sich nicht mit den Details des Hafenbetriebes befassen - in der Gesamtheit ist das ein wichtiger Beitrag zu einem optimierten Hafenanlauf.“
Mehr über das Unternehmen HVCC, seine Services und seine Projekte erfahren
Der Erfolg ist für das HVCC-Team kein Grund, sich zurückzulehnen. Gemeinsam mit unterschiedlichen Partnern arbeitet das HVCC an einer weiteren Digitalisierung der Prozesse. Mit der Digital Container Shipping Association (DCSA) wurde 2021 das weltweit erste Pilotprojekt für eine digitale Abstimmung zwischen Reedern und Häfen durchgeführt. Davor testete HVCC mit Wärtsilä bereits eine Übermittlung der Daten des Passageplans in die elektronische Seekarte der AIDA Kreuzfahrtschiffe – ein Konzept, das jetzt auf die Containerschifffahrt ausgeweitet werden soll.
„Unser permanentes Ziel ist der dynamische Datenaustausch in Echtzeit zwischen einer Vielzahl von Prozessbeteiligten. Das verbessert die Plandaten fortlaufend und somit die Koordination der Schiffe insgesamt“, beschreibt Hirt seine Rechnung. In der Summe führt sie zu einer höheren Wirtschaftlichkeit für viele Unternehmen, die im Hamburger Hafen festmachen und arbeiten. Und langfristig auch zu einer besseren Berechenbarkeit und Stabilität der maritimen Transportkette.
Veröffentlicht am 26.8.2022