St. Annen 1, das Rathaus der Speicherstadt

Das 1904 eingeweihte Verwaltungsgebäude der HHLA prunkvoller Mittelpunkt der Speicherstadt, aber auch ein clever umgebautes Bürogebäude.

Bei der Hamburger Freihafen und Lagerhausgesellschaft (HFLG) war man sich Anfang des neuen Jahrhunderts einig: nicht weniger als ein Prachtbau müsse das neue Hauptverwaltungsgebäude werden! Schon das „alte“, 1887 eingeweihte Direktionsgebäude am Sandtorkai 1 war auf persönlichen Wunsch von Senator Johannes Versmann „luftiger und ansprechender“ als der angrenzende Speicherblock O gestaltet worden. Es wurde also mit Erkern, Ziergiebeln, Dach- und Brüstungsgesimsen aus Sandstein verschönt, erwies sich jedoch bald als zu klein.

Die HFLG, die für Bau und Bewirtschaftung der Speicherstadt gegründete Vorgängerin der HHLA, wuchs ebenso schnell wie der ihr anvertraute Lagerhauskomplex. Hamburg stand nach London und New York an dritter Stelle auf der Liste der Welthäfen. Man wollte repräsentieren und beauftragte die Firma Hanßen & Meerwein sowie den Architekten Johannes Grotjan mit dem Bau von St. Annen 1.

Hanßen & Meerwein hatte bereits das verspielt wirkende Direktionsgebäude errichtet und zählte zu den Erbauern des „echten“ Hamburger Rathauses. Kein Wunder, dass man das nun auf 463 Holzpfählen emporwachsende Gebäude bald als „Rathaus der Speicherstadt“ bezeichnete. Natürlich spielt der Name auf die Bedeutung der HFLG in der Speicherstadt an, doch die Architektur nimmt den damals herrschenden deutschen Rathaus-Stil auf. Diesen Anspruch macht auch der Uhrturm deutlich, der die dichtgedrängten Speicherblöcke wie der Glockenturm eines mittelalterlichen Rathauses überragt. 

Als St. Annen 1 am 1. Juni 1904 eingeweiht wurde, konnten die Auftraggeber zufrieden sein. Für 600.000 solide Reichsmark (rund 45 Mark pro Kubikmeter umbauten Raumes) war ein prunkvoller Bau entstanden. Im Stil des Eklektizismus (Historismus, der sich aus verschiedenen Epochen bedient) hatte man romanische Rundbögen, Renaissance-Fenster und barocke Zierelemente kombiniert. Der stark verzierte Giebel trägt das Wappen der HFLG - sozusagen das Stadtwappen der Speicherstadt. 

Die Innenräume wurden vor allem im Jugendstil gestaltet. Fliesen, Türen und Holzpaneele zeigen die geschwungenen Formen des damals modischen Stils. Am Baumaterial wurde nirgends gespart: sächsischer Edelbackstein, grauer Oberkirchener Sandstein und Kupfer für die Turmhelme, innen schwarze Schieferplatten mit eingeschlossenen Fossilien.

Die vielfältige und doch stimmige Komposition wurde im Laufe der Jahre teilweise durch pragmatische Ansätze zur Büronutzung gestört. Die schweren Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs überstand das Gebäude jedoch unbeschadet, obwohl in unmittelbarer Nachbarschaft viele Speicherblöcke zerstört wurden.

Zu neuem Glanz verhalf St. Annen 1 dann eine Totalsanierung zum 100. Geburtstag. Den Auftrag bekam das mit Preisen überhäufte Büro gmp (von Gerkan, Marg und Partner), das auch den Hamburger Flughafen, den Berliner Hauptbahnhof oder das Chinesische Nationalmuseum in Peking gebaut hat.

Die Aufgabe für gmp bestand darin, bei Bewahrung und Betonung der historischen Architektur gleichzeitig eine moderne Nutzung zu ermöglichen. In den Jahren 2001/2002 entstanden neue Sitzungssäle im Foyer, das ursprünglich ein offener Lichthof war. Heute wölbt sich ein charakteristisches Glasdach (siehe Luftbild) darüber. Als Reminiszenz an die Vergangenheit findet sich im umgebauten Foyer eine alte Feuerglocke aus dem Kaispeicher A.

Neue Büros wurden durch die Anbindung einstiger Lagerflächen im Nebenhaus erschlossen. Das war durchaus eine Herausforderung, denn in die Speicherböden mit ihren charakteristischen Ständerbauten aus Nadelholz dringt relativ wenig Licht. Die inneren Bereiche wurden deshalb mit Sanitärtrakt und Sitzungssälen ausgestattet.

Trotz der geschmackvollen, modernen Inneneinrichtung kann man die Funktion der früheren Lagerböden noch gut erkennen. Die Luken, die heute Fenster sind, liegen sich genau gegenüber. Auf der einen Seite, der Wasserseite, wurde die Ware angeliefert, dazwischen eingelagert und schließlich auf der anderen Seite mit einer Winde zur Straße ausgeliefert.