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Die große Sturmflut vom Februar 1962 legte den Hamburger Hafen nur vorübergehend lahm. Schlimm waren jedoch Inseln wie Waltershof betroffen, wo später der erste Hamburger Containerterminal entstand.
107 Jahre lang waren mehr oder weniger hohe Fluten die Elbe hinauf nach Hamburg geströmt, ohne größere Schäden zu verursachen. 1855 gab es die letzte wirklich zerstörerische Sturmflut. Daran erinnerte sich 1962 niemand mehr. Die Warnungen vor dem Orkantief „Vincinette“ (die Siegreiche) wurden nicht übermäßig ernst genommen, die Hamburger fühlten sich in der Nacht zum 17. Februar sicher.
Selbst die zuständigen Deichbaubehörden ließen verlauten: „Zu einer Katastrophe kann es nach menschlichem Ermessen nicht kommen.“ Weil der Pegel Cuxhaven als wichtigster Beobachtungsposten für den Verlauf der Flut ausfiel, arbeitete man in Hamburg nur den gewohnten Maßnahmeplan ab. Es blieb zu lange unbemerkt, dass der Sturm aus Nordwest auf die rückflutende Tide drückte und einen mächtigen Windstau erzeugte. Das neu einlaufende Hochwasser, gestärkt durch riesige Fernwellen aus dem Atlantik, erreichte dadurch eine ungeahnte Gewalt.
Um 0.11 Uhr brach die eisige Flut bei Neuenfelde den ersten Deich, später noch 59 weitere. Fast ein Fünftel des Hamburger Stadtgebietes wurde überschwemmt von Wassermassen, die dem 60fachen von Binnen- und Außenalster entsprachen. Die eingedeichte Insel Wilhelmsburg lief komplett mit Wasser voll, ebenso Waltershof, Altenwerder und Moorburg. 20.000 Menschen wurden in den nächsten Tagen evakuiert und 2.000 aus unmittelbarer Lebensgefahr gerettet. 315 Todesopfer wurden am Ende gezählt.
Viele Hamburger am höher gelegenen Nordufer hatten in der Nacht nichts von der Sturmflut mitbekommen. Am Samstagvormittag war noch nicht allgemein bekannt, dass ganze Stadtteile südlich der Elbe im Wasser versunken waren. Heute eigentlich unvorstellbar, wo Fernsehen, Internet und Soziale Medien quasi in Echtzeit informieren.
Zu den am schlimmsten betroffenen Gebiete gehörte Waltershof, wo einige Jahre später der Container Terminal Burchardkai entstand. Ein unfertiges Ausbauprojekt machte die Insel, die nur durch eine tiefliegende Straße mit dem Rest der Stadt verbunden war, für Dutzende Menschen zur tödlichen Falle.
Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte man mit dem Bau eines Hafenbeckens begonnen, das nur durch verschiedene Kaimauern und provisorische Deiche geschützt wurde. Weil es dafür nach dem Krieg keinen Bedarf gab, jedoch eine große Nachfrage nach Wohnraum und Lebensmitteln, zogen viele ausgebombte Hamburger nach Waltershof, wo sie einen Kleingarten hatten.
Die „Laubenpieper“ machten aus der Gartensiedlung einen auch im Winter bewohnten Stadtteil, dessen Bauwerke meist nur provisorisch aus Holz und Blech zusammengezimmert waren. Das wurde den schlafenden Bewohnern, die niemand alarmiert hatte, während der Flut zum Verhängnis. Als der Deich zum Parkhafen am heutigen Liegeplatz 7 brach, wurden Behelfsheime samt dort lebender Menschen und ihrer Kleintiere einfach hinweggespült.
„Das Wasser schoss mit einer fürchterlichen Kraft und Gewalt heran“, erinnert sich Johannes Tönnies, der auf der Waltershofer Insel wohnte. „Die Hilferufe und Schreie dieser Menschen, dazu den heulenden Sturm und das unheimlich Rauschen des Wassers wird keiner vergessen können.“
Dagegen konnte sich Günther Acke das Ausmaß der Katastrophe, von der er nur im Radio gehört hatte, zunächst gar nicht richtig vorstellen. „Ich fuhr einfach zum Schuppen 55, denn ich musste ja schließlich zur Arbeit“, erzählt der damals 27jährige HHLA-Hafenarbeiter. „Der Einteiler schickte uns gleich wieder nach Hause, wir sollten uns später telefonisch melden.“
Auf den Hafenflächen, die meist 5,65 Meter über Normalnull lagen, hatte die ungefähr 5,70 Meter hohe Flut lediglich große Pfützen, Schlick und Unrat hinterlassen. Trotzdem ging im Hafen nichts mehr, denn der Strom war überall ausgefallen. Im Bericht des Hamburger Senats zur Flutkatastrophe hieß es unter dem Punkt Seeschifffahrt: „Die Hafenanlagen waren fast völlig intakt“. Lediglich einige Bahngleise und der Hafenbahnhof Süd lagen länger unter Wasser, konnten aber bald wieder genutzt werden.
Richtung Süden waren alle Straßen gesperrt. Zu den Elbinseln kam man nur auf einem großen Umweg über Lauenburg. Am Montag, als die HHLA ihre Angestellten zum Aufräumen wieder in den Hafen bestellte, fehlte mancher Kollege aus den südlichen Stadteilen.
Zum Beispiel Gerhard Graf, Elektriker aus Wilhelmsburg. Er hatte am Samstag früh aus dem Fenster geschaut und entdeckt, was die Flut angerichtet hatte. Überall nur Wasser, Wasser, Wasser. Familie Graf war zwei Tage von der Außenwelt abgeschnitten, andere Flutopfer bis zu zehn Tagen. Die Grafs nahmen Nachbarn aus dem unteren Stockwerk auf, in deren Schlafzimmer schon Wasser stand, ohne dass sie davon etwas gemerkt hatten.
Zum Glück musste die HHLA unter ihren Mitarbeitern keine Todesopfer beklagen. Von ihren Anlagen waren vor allem die älteren 50er Schuppen betroffen. Die unteren Regalmeter waren nass geworden, wodurch Waren verdarben. In den Lagerhäusern am Melniker Ufer versuchte man, große Mengen wertvoller Kugellager zu retten, indem man sie neu einölte.
In Waltershof waren die Schäden so verheerend ausgefallen, dass die Stadt das gesamte Gebiet neu plante und die tiefliegenden Flächen auffüllte. Hier entstanden seit Mitte der 60er Jahre neue Teile des Hafens, in denen vor allem Container umgeschlagen wurden.
Während man die Deiche um die bewohnten Gebiete nach der Katastrophe mehrmals verstärkte und damit ausreichend schützte, blieben die Anlagen im Hafen verwundbar. 1976 erreichte eine Sturmflut den Pegelstand von 6,45 Meter über NN und überstieg damit die 1962 erreichte Maximalhöhe von 5,78 Meter bei Weitem. Sie richtete Schäden in Höhe von 750 Millionen Mark an.
Seitdem wurden das Alarm- und das Poldersystem für den Hochwasserschutz erheblich verändert und verbessert. Als das Hochwasser 1994 und 1995 wieder über die 6-Meter-Marke stieg, blieb dies folgenlos.