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Christoph Schwennicke ist seit mehr als 25 Jahren ein meinungsstarker Journalist, unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Spiegel“ und als Chefredakteur des Politmagazins „Cicero“. Auch zum Thema Globalisierung hat er eine ganz eigene Meinung.
Die große Globalisierung beginnt bei den ganz kleinen Dingen, zum Beispiel mit einer Muskatnuss auf einer winzigen Insel. Die kleinste der Banda-Insel im Osten Indonesiens heißt Run und ist kaum eine halbe Meile breit, zwei Meilen lang und verfügt über keine einzige Frischwasserquelle. Auf dieser Insel gedieh und gedeiht Muskat wie sonst nirgendwo auf der Welt. Und: Die Samenkerne waren dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts unverschämt günstig. 10 Pfund des feinen Gewürzes kosteten gerade einmal einen halben Penny. In Europa konnte dieselbe Menge für mehr als 1 Pfund und 60 Penny verkauft werden – eine Wertsteigerung von 32.000 Prozent.
Solch unglaublich lukrativer Handel, oft durch Monopole gesichert, machte die East India Company reich. Und auf deren unvorstellbaren Reichtümern bauten die Briten ihr etwa 100 Jahre währendes Weltreich auf.
Es gibt unzählige Definitionen der Globalisierung. Sie sei „der Prozess der zunehmenden Verflechtung und gegenseitigen Abhängigkeit von Volkswirtschaften, Gesellschaften und Kulturen auf der ganzen Welt, der durch Fortschritte in den Bereichen Technologie, Transport und Kommunikation vorangetrieben wird“. Das spuckt die Künstliche Intelligenz von ChatGPT aus, wenn sie gefragt wird, was dieses Phänomen in seinem Kern ausmache.
Es geht aber auch viel kürzer: Globalisierung ist Gefälle. Sie ist dann wirkmächtig, wenn es einen lohnenden Unterschied gibt zwischen den Kosten von Rohstoffen, Produkten und Dienstleistungen am einen Ende der Welt und deren Wert am andern Ende. Die kinetische Energie, die dieses Gefälle freisetzt, ist umso größer, je weiter Kosten hier und Erträge dort auseinanderklaffen.
Die Normannen nutzten diese Kräfte, um aus Skandinavien bis nach Sizilien zu gelangen. Die Hanse des 12. Jahrhunderts umspannte ebenso halb Europa wie auch die schwäbischen Fugger ihren Reichtum seit dem 14. Jahrhundert auf der Kraft der Globalisierung gründeten. Die abertausende Kilometer lange Seidenstraße nach China: Frühe Globalisierung. Deshalb will die aufstrebende Weltmacht sie nun auch ein zweites Mal errichten, diesmal noch weiter gespannt als vor 700 Jahren.
Händler haben in früheren Zeiten große Strapazen auf sich genommen. Die Wege waren weit, die Vehikel noch nicht so hochentwickelt wie heute. Aber für die Aussicht auf Profit wurden Strapazen und Gefahren auf sich genommen. Der Turbo kam durch zwei Innovationen: Die neuen digitalen Transportwege und die Weiterentwicklung von Containerschiffen zu schwimmenden Frachtgebirgen.
Diese Ozeanriesen sind nicht nur immer größer geworden in den vergangenen Jahren, sondern auch immer mehr: 5.442 von ihnen waren im Jahr 2021, als Corona die Welt lahmlegte, auf den Weltmeeren unterwegs. Größe allein ist aber kein Merkmal der Globalisierung. 2022 hat die Schweiz, nicht eben eine Seemacht, die Niederlande als das am weitesten globalisierte Land der Welt abgelöst. Im Ranking der ETH Zürich, das ökonomische ebenso wie soziale und politische Globalisierung in den Blick nimmt, landeten die Eidgenossen bei einem Wert von 91 Indexpunkten.
Pandemien und Kriege können den allgemeinen Trend für eine Weile bremsen. Die Verwundbarkeit von Lieferketten wird dann offensichtlich, und manche Just-In-Time-Produktion wieder infrage gestellt. Die früher unmodernen Lagerhallen wurden in den drei Jahren der Corona-Pandemie errichtet wie lange nicht mehr.
Aber die mit solchen Krisen einhergehenden Handelsschranken oder Sanktionen werden die Globalisierung immer nur für eine gewisse Zeit bremsen. Danach kommt das Phänomen umso vehementer zurück. Es wurde angenommen, dass digitale Videokonferenzen den Flugverkehr für immer reduzieren würden. Doch er ist weitgehend wieder da, wo er vor der Pandemie war. Und auch die virtuelle Welt von Meta, früher Facebook, wird die Leute nicht davon abhalten, in die echte Sonne und zum echten Meer zu fliegen.
Rock’n Roll sei keine Lärmverschmutzung, singen AC/DC über die globalisierteste Musik der Welt. Und er werde niemals sterben. Genauso ist es mit der Globalisierung. Wer meint, sie verginge wieder, vielleicht zugunsten eines neuen Handels-Nationalismus, der kann ebenso gut daran glauben, die Gravitationskraft der Erde gehe irgendwann zu Ende.