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Etwa 20 % der CO2-Emissionen in Deutschland entstehen durch den Güterverkehr. Daran lässt sich etwas ändern, zum Beispiel durch clever kombinierten Verkehr. Und warum stehen Spedition und Bahn nicht an der Spitze der Digitalisierungsbewegung? Darüber unterhalten wir uns heute im HHLA Talk. Eingeladen haben wir eine der Logistikweisen, die bekannte Bahnfrau Berit Börke.
Willkommen bei der HHLA, liebe Berit. Und schön, dass du es knapp geschafft hast. Du standest ja vor ein paar Herausforderungen …
„Knapp“ hast du freundlich formuliert. Ich bin eine Stunde zu spät. Ich bin mit der Bahn gekommen und wäre heute fast zum Evakuierungshelfer geworden. Auf der Strecke vor uns lag ein ICE und der sollte evakuiert werden. Es hat sich dann aber alles positiv aufgelöst, wie so oft im Leben. Und wir haben ja ein bisschen Puffer heute, so dass alles gut klappen sollte.
Die Erfahrungen, die du heute gemacht hast im Bahnverkehr, also als Passagier, macht man die eigentlich auch als Kunde im Güterverkehr?
Ja, sicher gibt es im Güterverkehr Verspätungen. Jeden Tag gibt es Störungen im Betriebsablauf. Das gehört aber zum Geschäft und muss ich managen können. Entscheidend ist, wie gut bin ich informiert, und was mache ich mit der Information? Habe ich einen Plan B? Zumindest heute fühlte ich mich sehr gut informiert. Nach einem kurzen Check, ob es eine Alternative gibt, konnte ich dir Bescheid geben. Und so ist das im Güterverkehr auch. Vieles hängt an der Kommunikation.
Wir sind gleich voll eingestiegen, aber lass uns mal kurz zum Anfang zurückkommen. Die Zuhörenden haben das bestimmt schon verstanden: du bist eine Bahnfrau. Und zwar, wenn ich das mal so sagen darf, eine sehr begehrte. War nicht einfach, den Termin zu kriegen, aber umso mehr freue ich mich. Für die Zuhörenden, die dich nicht kennen, kannst du vielleicht mal erzählen, warum du in der Branche relativ gut bekannt bist?
Das liegt zum Einen natürlich daran, dass ich schon relativ lange im Geschäft bin bzw. die Logistik mich schon viele Jahre in ihren Bann gezogen hat. Mein erster Berührungspunkt mit dem Kombinierten Verkehr, der ja heute auch der Schwerpunkt sein soll, war 2004. Nach mehreren Jahren in der Beratung und in der Wissenschaft bin ich zur Transfracht gegangen. Dort war ich Regionalleiterin für die deutschen Seehäfen, später Geschäftsführerin. Ich habe also dafür gesorgt, dass möglichst viele Container, die hier in Hamburg an der Kaikante oder in Bremerhaven an der Kaje ankommen, nicht mit dem Truck transportiert werden, sondern auf Züge gehen und ins Hinterland transportiert werden. Das war der Einstieg, und das habe ich auch relativ lange gemacht. Dann bin ich 2017 zur TX Logistik AG gewechselt, einer Tochtergesellschaft der italienischen Bahn. Und damit kam ein großes kontinentales Netzwerk zu meinen Aufgaben dazu. Wir haben in elf Ländern Zugverbindungen betrieben. Und wenn man in dem Geschäft ist, dann arbeitet man mit sehr vielen Leuten zusammen. Ich habe immer Vertrieb gemacht, und zum Vertrieb gehörte auch die Disposition und der Customer Service. Das heißt, man hat mit Kunden zu tun. Da sind die Reeder, Spediteure, aber auch die Verlader. Denn es ist immer wichtig zu wissen, was der Endkunde möchte. Auf der anderen Seite sind die Dienstleistungspartner, also auch Terminalbetreiber und Partner, mit denen man die Zugverkehre gestaltet. Diese sind häufig international und es ist selten, dass man eine ganze Strecke selbst produziert. Es sind also viele Beteiligte, und über die Jahre kennt man sich dann.
Du hast den ganz breiten Blick, und deswegen haben wir dich ja auch eingeladen, um aus allen Perspektiven ein bisschen auf das Thema Kombinierter Verkehr zu schauen. Außerdem bist du dabei, wenn sich die Logistikweisen treffen. Zuletzt in Stuttgart. Vielleicht kannst du uns ein bisschen davon erzählen, welche Trends erörtert wurden? Habt ihr vielleicht ein Ergebnis, über das du berichten kannst? Ich glaube, da geht es auch viel um Prognose?
Das ist richtig, die Logistikweisen gibt es seit ungefähr zehn Jahren. Ich bin seit 2016 dabei. Das ist ein Expertengremium in Deutschland, das aus unterschiedlichen Bereichen besetzt ist: aus der Automobilindustrie, der Chemieindustrie, dem Maschinenbau, aus der Logistik. Und auch die Wissenschaft ist dabei. Unsere Aufgabe ist es, immer für das Folgejahr eine Prognose zu erstellen für das Wachstum oder auch für den Rückgang, also für die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik. Und wenn du mich jetzt fragst, wie war Stuttgart, dann hat sich fortgesetzt, dass wir weiter über bekannte Trends sprechen. Also über die Entwicklungen, die maßgebend sind für die Nachfrage und die Kosten, sind relativ klar. Schlagworte sind Energie, Fachkräfte- oder überhaupt Personalmangel, der Strukturwandel, Konsolidierungsprozesse in der Industrie, Klimaschutz und – natürlich – die Geopolitik. Diesbezüglich sind wir uns einig. Neu ist allerdings seit ein, zwei Jahren, dass diese Ereignisse jetzt auf einmal kommen. Daraus entsteht eine Unsicherheit, die dazu führt, dass die Prognose auch immer schwieriger wird. Das heißt, wir arbeiten mittlerweile mit Bandbreiten der Entwicklung. Für 2023 haben wir die Prognose abgesenkt auf minus 2,5 Prozent (real) mit einer Bandbreite plus minus eins, und für 2024 nochmal abgesenkt auf minus 3,5 Prozent (real) mit der gleichen Bandbreite. Jetzt schauen wir mal, wie gut wir liegen. Das zeigt die Herausforderungen, die vor der Wirtschaft liegen, und Logistik ist dabei natürlich ein maßgeblicher Indikator.
Im Laufe des Gesprächs werden wir mal schauen, ob es auch ein paar optimistische Ausblicke gibt, was den Kombinierten Verkehr betrifft. Den wollen wir, glaube ich, alle steigern. Aber vielleicht können wir das Thema Kombinierter Verkehr ein bisschen präziser fassen. Nicht jeder, der uns zuhört, ist heute so gut im Thema wie wir, wenn wir über Kontinentalverkehre, Seehafenhinterlandverkehre, kombinierte Verkehre und viele andere Fachbegriffe reden. Wie würdest du denn jetzt den Begriff KV fassen? Das ist die Abkürzung für Kombinierten Verkehr. Vielleicht verwenden wir die jetzt mal ab und zu.
Kombinierter Verkehr steht an sich für den perfekten Match von zwei Verkehrsträgern. Das heißt, ich gestalte einen Transport in der Form, dass ich auf der kurzen Strecke für den Vor- und Nachlauf die Straße, also den Truck nutze und die lange Strecke mit der Bahn gestalte. Was heißt das? Ich brauche ein Terminal. Dort schlage ich nicht die Ware selbst um, sondern die Transportbehälter. Im Seehafenhinterlandverkehr ist das klassisch der Container. Im kontinentalen Verkehr sind es Sattelauflieger bzw. Trailer und Wechselbrücken. Man kann auch unterscheiden zwischen begleiteten und unbegleiteten Verkehren, aber dann wird es ein bisschen kompliziert. Also KV ist im Grunde das, wie ich heute hergekommen bin. Ich bin mit dem Auto vom Land bis an den Bahnhof gefahren und habe dann für die lange Strecke den Zug genutzt, und das ist an sich …
Kombinierter Personenverkehr!
Ja, nichts anderes. Mobilität läuft ähnlich ab. Indem ich im Hauptlauf die Schiene nutze, habe ich eine gute Mischung aus Produktivität und Umweltfreundlichkeit. Wir fahren zwar nicht wie in den USA doppelstöckig, und die Containerzüge sind auch nicht zwei Kilometer lang. Wir arbeiten noch an 740 Meter Zuglänge. Darauf kommen wir vielleicht später noch, beim Thema Infrastruktur. 740 Meter sind auch in Deutschland noch nicht überall möglich. Im Durchschnitt haben wir momentan so 550 Meter. Aber auf einen Güterzug passen bis zu 100 Twenty Foot Container (20'), oder etwa 50 Lkw kann ich so ersetzen. Daran wird die Leistungsstärke der Schiene gut sichtbar.
Wir sprechen wahrscheinlich heute hauptsächlich über die Schiene, aber ganz grundsätzlich kann man sich im Hauptlauf, also für den größten Teil der Strecke, auch ein Binnenschiff vorstellen, oder?
Das ist richtig. Kombinierter Verkehr kann genauso das Binnenschiff auf der Hauptstrecke beinhalten. In der Regel sprechen wir beim Kombinierten Verkehr von der Schiene, da der Anteil deutlich größer ist. Binnenschifffahrt sind bei uns vor allen Dingen die Verkehre auf dem Rhein. Ich glaube, sie machen 80 Prozent aus.
Da gibt es auch noch die Elbe, auch wenn die Containerverkehre da weniger sind.
Ich möchte keinen Fluss benachteiligen! Wir sind ja hier in Hamburg an der Elbe. Bei der Binnenschifffahrt setzen viele Verlader mittlerweile aber auch auf Zweigleisigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Sie nutzen parallel auch die Schiene. Denn niedrige Pegelstände der Flüsse, also „Niedrigwasser“ oder „Kleinwasser“, führen dazu, dass man z.B. nur mit 40 Prozent Auslastung fahren kann. Das ist natürlich nicht optimal.
Du hast schon ein paar Mal diesen sogenannten Seehafenhinterlandverkehr erwähnt. Ein langes Wort. Und dann gibt es die Kontinentalverkehre. Hamburg ist, so sagen wir eigentlich immer, der größte Eisenbahnhafen der Welt. Das bezieht sich vor allem auf Container. Wie sieht das im Kontinentalverkehr aus?
Wenn man auf Europa schaut, macht der Hinterlandverkehr zwei Drittel aus und ein Drittel der Kontinentalverkehr. Wachstumstreiber sind aber ganz klar die kontinentalen Verkehre, weil heute noch sehr viele Transporte auf der Straße laufen. Das kann man z.B. daran festmachen, dass ungefähr 90 Prozent aller zugelassenen Sattelauflieger in Europa nicht kranbar sind, d.h. in einem Bahn-Terminal nicht umgeschlagen werden können. Das ist ein Indiz, was für ein Potenzial dort noch liegt.
Daran zu arbeiten, ist ja auch eine Aufgabe der Politik. Da gibt es zum Beispiel den „Green Deal“, und vielleicht kannst du uns ein bisschen erklären, warum die Politik da so hinterher ist. Warum sollte der Anteil des Kombinierten Verkehrs, des Bahnverkehrs, gesteigert werden?
Gut, da ist natürlich ganz klar das Argument der Umweltfreundlichkeit der Schiene. Ungefähr 80 Prozent weniger CO2-Ausstoß hat man, wenn man mit ihr unterwegs ist. Und Güterverkehre haben einen großen Anteil als Verursacher an den Treibhausgasemissionen. Zwischen 20 und 27 Prozent der Emissionen in Deutschland und Europa macht der Verkehr aus. Das ist – zumindest heute noch – maßgeblich der Straßengütertransport, gefolgt von Logistikimmobilien. Der Schienengüterverkehr ist also ein wesentlicher Hebel, und deshalb hat man das ganz hohe Interesse, bei der Verlagerung voranzukommen. Mir ist aber noch wichtig zu sagen: die Schiene ist umweltfreundlich, aber vor allen Dingen sind die Transporte im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern auch sehr sicher. Und sie bietet natürlich ganz andere, viel größere Kapazitäten. Um diese Vorteile voll zu aktivieren, muss man aber an der Infrastruktur etwas machen.
Ich würde auch sagen, dieses Potenzial wird von allen angenommen. Man sagt: Güter auf die Schiene, und der Verkehr muss grüner werden, indem wir mehr Bahnverkehr machen. Da ist jetzt die Frage: wo steckt denn das Potenzial? Wenn man sich das in Deutschland anguckt: da ist eine Strecke wie Berlin – Hamburg gleich belegt, wenn ein kaputter ICE auf der Strecke liegt. Dann dauert es schon mal eine Weile. Die Ausweichstrecken sind manchmal nicht gerade in der Nähe. Die Metrans, unsere Bahntochter, fährt diesen Korridor an der Elbe nach Bad Schandau entlang. Wenn demnächst große Bauarbeiten anstehen, müssen große Umwege gefahren werden. Also stellt sich die Frage: wo ist der Platz, um noch mehr Güter auf die Bahn zu bringen?
Es gibt keinen Diskurs darüber, dass wir investieren müssen. Die Frage ist, wie investiert man aktuell? Was du ansprichst, ist ja das Thema der Hochleistungskorridore. Diese sollen, ich sage mal „vollumfänglich“ saniert werden, und damit ist so ein Hochleistungskorridor für eine ganze Weile, d.h. für Monate gesperrt. Und es gibt in Europa keine Erfahrung mit dieser Dimension. Defacto muss etwas getan werden, da sind sich alle einig. Es gibt aber auch kleinere Maßnahmen, wie z.B. „Überholgleise länger machen“. Diese Maßnahme dient auch dazu, Umleitungsstrecken zu aktivieren. Es sind aber nicht nur Trassen, die verfügbar sein müssen. Infrastruktur ist mehr. Auch Terminals müssen in entsprechenden Umfang vorhanden sein. Die ganze Schienen. Infrastruktur muss einerseits zwingend zügig erneuert werden, und gleichzeitig muss daran gearbeitet werden, wie nutze ich die Infrastruktur am besten? Es muss ausgebaut werden. Aber das, was ich habe, kann ich auch klüger managen.
Ich glaube, da kommen wir nachher noch zu bei dem Punkt Digitalisierung. Ich habe jetzt, weil du die Terminals ansprichst, nochmal eine Frage. Du kennst ja unsere Bahntochter Metrans. Die haben das Konzept, über eigene Terminals sowie eigene Lokomotiven und Güterwagen, also rollendes Material, die Zuverlässigkeit zu steigern. Wie siehst du das so, als Beraterin? Ist das der richtige Weg?
Ja, eindeutig. Metrans ist da schon in der Pole Position, und das schon sehr lange. Ich bin heute Beraterin, richtig. Und habe viele Projekte in diesem Bereich. Ich weiß das aber auch noch aus der Zeit, als ich operativ tätig war und mich immer an der Metrans messen lassen musste. Metrans ist vertikal integriert in die Wertschöpfungskette, d.h. in die Produktion. Das ist schon sehr smart. Viele versuchen heute, diese Entwicklung aufzuholen, z.B. Terminalbeteiligungen zu erhalten. Auch wenn es Minderheitsbeteiligungen sind, kann ich anders Einfluss nehmen. Das ist früher oft unterschätzt worden. Man schaut immer, gibt es die richtigen und genügend Trassen. Ich brauche aber auch das richtige Terminalslot, damit mein Betriebsbild gut ist. Denn davon hängt ab, ob ich einen Wagenpark mehr oder weniger in einem Zugverkehr einsetzen muss. Oder, bekomme ich eine schnelle Lokwende hin? Ich will jetzt nicht zu produktionell sprechen, aber darin liegt am Ende der Unterschied. Habe ich Einfluss auf das Terminal, kann ich bei einer Verspätung eher mal sagen, verlängert die Schicht und fertigt den Zug noch ab.
Ja, oder das Terminal dient als Zwischenlager für Boxen, die jetzt gerade nicht mitkommen, Auslastungen können erhöht werden. Du hast vorher auch von kleinen Maßnahmen gesprochen, mit denen man vielleicht viel erreichen kann. Was fällt dir denn dazu noch ein? Du hast das Thema Überholspur genannt, auch eine interessante Idee. Aber gibt's vielleicht noch andere Themen, wo du denkst? Ja, warum macht das eigentlich keiner?
Viel Potential liegt in der Kooperation. Wenn man intensiver kooperieren würde, um die Kapazitäten, die es gibt, auch auszuschöpfen. Da frage ich mich nicht, warum macht das keiner, sondern warum fällt es so schwer? Es geht eigentlich viel mehr darum, die Ressourcen besser zu nutzen. Zum Beispiel: Lokführer sind immer ein Engpass. Man kann einen Zug perfekt planen, doch die Realität holt dich ein. Und dann stellt sich die Frage, wie kann ich vielleicht auch Ressourcen eines Mitbewerbers nutzen? Vielleicht gibt es einen Lokomotivführer, der gerade eine sogenannte Gastfahrt im ICE macht, der am nächsten Bahnhof aussteigen und den Güterzug übernehmen könnte. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen fantastisch, aber dafür gibt es mittlerweile Tools. Es kommt einiges in Bewegung und man spürt, dass die Leute offener werden für solche Kooperationen. Ich sehe auch, dass Verlader ein bisschen mehr treiben und selbst ins unternehmerische Risiko gehen. Auch Spediteure engagieren sich in Sachen Bahn stärker. Man muss ja nicht gleich das große Netzwerk, sondern kann Pilotprojekte auf einzelnen Strecken starten. Es geht schon einiges.
Und damit können wir dann vielleicht doch zur Digitalisierung gehen. Kommunikation bedeutet ja heute: digitalisierte Kommunikation. Man kann Datensätze senden, die vielleicht mehr Leuten verfügbar gemacht werden, dadurch die Steuerung verbessern und auch kooperieren, was du eben angesprochen hast. Aber ich habe so das Gefühl, dass unsere Branche Logistik insgesamt, aber ganz besonders die Bahnbranche, ein bisschen hinterherhängt. Hast du das Gefühl auch?
Na, ich habe nicht nur das Gefühl. Ich denke, das ist ganz klar so. Ich hatte vor einigen Jahren ein besonderes Erlebnis. Die Firma Freighthub, heute ist das Forto, war gerade als digitale Spedition am Markt gestartet. Wir saßen in Berlin und haben gefragt: Habt ihr eigentlich schon mal an Bahntransporte gedacht? Das hatten sie damals noch nicht. Und dann haben sie erzählt, wie sie zu dieser Geschäftsidee gekommen sind. Die Gründer hatten sich hingesetzt und gefragt: welche Branche oder Sektor ist am wenigsten digitalisiert? Spedition und Bahn gehören nicht zur Spitze der Bewegung. Die Digitalisierung ist enorm wichtig für die Verdichtung des Schienennetzes und den Ausbau der Kapazitäten. Es geht um Automatisierung, die Unterstützung der Entscheidungsfindung und um Optimierung. Die sogenannte Fahrlagenplanung ist z.B. heute oft noch Manufakturarbeit. Es muss was passieren und, es gibt auch Fortschritte.
Von Kollegen habe ich manchmal gehört, dass das Thema Daten teilen auch ein Problem ist. Man teilt nicht so gerne in der Branche. Ist Datenschutz aus deiner Sicht eher ein Hindernis, weil damit sehr viele Vorschriften verbunden sind? Oder ist es vielleicht langfristig gesehen auch ein Vorteil, wenn man weiß, meine Daten sind sicher? Ich kann genau bestimmen, wer was mit meinen Daten macht. Wie schaust du auf dieses Thema?
Das ist gut, wenn du sagst, wie guckst du da drauf? Ich glaube, eine richtig gute Antwort gibt es darauf nicht. In unserer Branche bauen ja einige Geschäftsmodelle regelrecht auf Intransparenz. Es geht also nicht nur darum, nicht gerne Daten zu teilen, sondern der Geschäftserfolg hängt davon ab. Das ist meines Erachtens auch ein Grund, warum Plattformen oft immer noch kritisch gesehen werden.
Plattformen sind auch ein super Stichwort. Wir haben eine Plattform ins Leben gerufen, die du ziemlich gut kennst: Modility. Vielleicht kannst du uns mal erklären, was man im Internet findet, wenn man Modility sucht? Was kann man damit machen?
Modility ist eine digitale Plattform für den kombinierten Verkehr. Das unterscheidet sie von einem Portal, wo nur ein Unternehmen sein Angebot vielen Nutzern zur Verfügung stellt. Modility bietet Bahnoperateuren an, Transportkapazitäten auf der Schiene und im Trucking, also im kombinierten Verkehr, einzustellen und eigene Kapazitäten zu vermarkten. Und als Nutzer, als Spediteur oder Reeder kann ich auf die Plattform gehen und sehe, am morgigen Tag oder übermorgen oder nächste Woche gibt es auf der Strecke, die ich suche, für meinen Behälter, den ich transportieren will, verschiedene Angebote. Das heißt, mit ein paar Klicks und innerhalb von wenigen Sekunden habe ich einen Überblick über die Möglichkeiten, im kombinierten Verkehr zu transportieren. Damit ist eine große Hürde im kombinierten Verkehr, dass Unternehmen nicht wissen, welche Anbieter es gibt, gelöst.
Wir wollen auch transparent sein. Du bist Mitglied im Beirat von Modility, wenn ich das richtig sehe. Deswegen kennst du dich so gut aus.
Richtig. Ich kenne Modility sehr gut, und ich kenne auch andere Plattformen. Rail-Flow zum Beispiel hat ein Ökosystem geschaffen und bietet darüber Navigation für die Nutzung der Schiene.
Kennst du denn noch weitere Beispiele für erfolgreiche Plattformen, die das Business in der Logistikbranche erleichtern?
Ja, es gibt zum Beispiel Timocom, die schon sehr lange erfolgreich am Markt ist. Um ein nächstes Level zu erreichen, könnte man verschiedene Tools auch verbinden. So wäre es zum Beispiel klasse, wenn ich über Modility auch „One-Stop-Shop“ Buchungen unter Einbindung des Binnenschiffs machen könnte. Es gibt auch Portale mit guten Angeboten. Aber der Charme von Plattformen liegt darin, dass ich mir schnell einen Überblick verschaffen kann: was gibt es, was ist für mich das Beste? Dann drücke ich auf den Knopf und, „zack“ bin ich fertig!
Das ist es, was man bei Onlineplattformen schätzen lernt. Bei booking.com gibt es eben nicht nur eine Hotelkette oder zwei oder drei, sondern dort finde ich sehr viele Unterkünfte. So kann es in der Zukunft laufen. Ich möchte etwas von A nach B bewegen und entscheide dann, je nachdem, worauf ich am meisten Wert lege: was ist der günstigste, der CO2-freie, der nachhaltigste, der schnellste Weg?
Genau. Und dem Modility Team ist es gelungen, immer mehr Akteure zu überzeugen, weil Plattformen viele Möglichkeiten bieten. Als KV-Operator kann ich zum Beispiel flexibles Pricing ausprobieren oder spezifische Kundensegmente ansprechen. Ich mache die Erfahrung, dass zunehmend erkannt wird, dass die Nutzung digitaler Plattformen im Kombinierten Verkehr Vorteile bringt und die Sorge um Transparenz hier unbegründet ist.
Wir reden jetzt schon ein bisschen über die Zukunft. Angenommen, wir stehen hier in zehn Jahren nochmal. Glaubst du, dass sich der Bahnanteil in zehn Jahren signifikant erhöhen läßt?
Was verstehst du unter signifikant?
Na, sagen wir mal, mehr als 3 bis 4 Prozent.
Bis 2030 soll der Bahnanteil 25 Prozent betragen. Ich glaube nicht, dass das in diesem kurzen Zeitraum zu schaffen ist. Der Güterverkehr wächst weiter. Und, selbst wenn der Bahnanteil wie bisher bei ungefähr 19 Prozent stagniert, ist damit schon Wachstum verbunden. Jedes Projekt, das auf die Bahn verlagert wird, ist positiv. Ich denke aber, der Bahnanteil wird größer werden. Ich bin nämlich überzeugt davon, dass immer mehr Player sich ernsthaft mit der Schiene beschäftigen und auch bereit sind, zu investieren. Im Rahmen meiner Consulting-Tätigkeit sehe ich, dass Verlader kommen und kooperieren wollen, um Mengenströme zu balancieren. Es gibt auch immer mehr Spediteure, die Transporte auf der Schiene realisieren wollen und sich fragen: welchen Teil der Wertschöpfungskette muss ich selbst steuern, wo muss ich investieren, brauche ich eigene Assets? Der Schub wird von der Kundenseite entstehen. Deshalb bin ich mir sicher, wenn wir uns hier in zehn Jahren wiedersehen, wird es deutlich nach vorne gegangen sein.
Na siehst du, dann haben wir zum Schluss doch nochmal einen optimistischen Ausblick geschafft. Das ist wichtig. Auch wenn wir in der Branche die eine oder andere Hürde, möglichst gemeinsam, noch meistern müssen, haben wir ein klares Ziel. Es geht um nachhaltigere Verkehre und die Entlastung der Straße. Auf allen Autobahnen sind heute noch zu viele LKW unterwegs. Das soll sich ändern und wird dann hoffentlich in 10 Jahren den Autobahnnutzen auch positiv auffallen.
Ich denke auch, dass wir optimistisch sein können. Es muss viel passieren. Ich sehe auch neue Akteure, die verstärkt in Verkehrssystemen denken. Und das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt. Polarisieren im Sinne von „der eine Verkehrsträger ist gut und der andere ist schlecht“ macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Wir müssen in Verkehrssystemen denken und offen sein, auch mal andere Finanzierungsmodelle zu probieren. Dann haben wir jeden Grund zum Optimismus.
Das ist ein sehr schönes letztes Wort bei vielen Dank, dass du hierhergekommen bist und dass wir so sehr interessantes, anregendes Gespräch gehabt haben.
Vielen Dank. Mir hat's auch Spaß gemacht, und jetzt freue ich mich, dass wir beide zur siebten Bahn Konferenz gehen. Und dann bin ich gespannt, welches Bild uns dort gezeichnet wird.
Veröffentlicht am 22.2.2024