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Im HHLA-Talk wird diskutiert, wie digitale Werkzeuge helfen, beim Transport weniger schädliche Schadstoffe auszustoßen. Auch gesetzliche Regulatorik soll das Ziel unterstützen helfen. Wie wird sie aufgenommen und bringt sie vielleicht sogar einen gewissen Wettbewerbsvorteil für Europa? Zwei sehr interessante Startups arbeiten daran, dass unsere Branche auf digitalem Wege nachhaltiger wird.
Albrecht Grell: Erst einmal vielen Dank, dass ich heute dabei sein darf. Das ist für uns immer auch eine tolle Möglichkeit, mit euch ins Gespräch zu kommen. Mein Name ist Albrecht Grell, ich bin seit anderthalb Jahren Geschäftsführer des Hamburger Startups OceanScore. Wir sitzen hier in der schönen Speicherstadt direkt um die Ecke. OceanScore beschäftigt sich mit digitalen Lösungen, vor allem für die Schifffahrt, die beim Managen verschiedener regulatorischer Vorgaben im Bereich Nachhaltigkeit und Emissionen helfen.
Tobias Bohnhoff: Ich freue mich auch sehr, hier zu sein. Ich bin Tobias Bohnhoff, Geschäftsführer von ShipZero. Wir sind ein Unternehmen, das auch hier in der Speicherstadt ansässig ist, und wir beschäftigen uns ganzheitlich mit dem Thema Door-to-Door-Emissionsmanagement in der Logistik, also mit der Vermessung von sendungsbezogenen Treibhausgasemissionen für die verladende Industrie und für Logistik-Service-Provider. Und ich freue mich sehr auf den spannenden Austausch heute.
Moderation: Zwei tolle Startups und die HHLA in der Speicherstadt: Ist dieser Ort ein Hotspot für Startups?
Albrecht Grell: Ich würde für uns sagen: Auf jeden Fall. Wir sind ja beim Digital Hub Logistics ansässig, wo die HHLA auch Partner ist. Da haben wir 90 Startups im Gebäude. Das ist nicht nur eine tolle Möglichkeit, gute Büroflächen und tolle Infrastruktur zu nutzen. Auch die Vernetzung untereinander ist für uns enorm wertstiftend. Deswegen: Wir sind sehr, sehr gerne hier und ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen.
Tobias Bohnhoff: Kann ich nur bestätigen. Auch wir sind Teil des Digital Hub Logistics, schon seit 2020 tatsächlich – wir haben damals noch mit einem sehr kleinen Team dort angefangen, auch als Mieter des Coworking-Spaces. Mittlerweile sind wir etwa 50 Personen und arbeiten immer noch am alten Standort des Hubs: Wir haben Teile der alten Flächen als Büroräume übernehmen können. Es ist wahnsinnig atmosphärisch, wenn man in so einem alten Speichergebäude sein Büro hat.
Moderation: Tobi, kannst du erklären, welche Ansätze ShipZero von euren Wettbewerbern unterscheiden. Ihr messt die Emissionen über die gesamte Transportkette, habe ich das richtig verstanden?
Tobias Bohnhoff: Genau. Der Begriff Emissionen ist natürlich immer mit der Berechnung verbunden. Sprich: mit einem Emissionskalkulator. Das ist sicherlich auch eine zentrale Aufgabe, die wir mit ShipZero übernehmen. Auf der einen Seite nehmen wir für Unternehmen ein Impact Assessment einer einzelnen Sendung oder eines Logistikprozesses auf der Treibhausgasseite vor und bereiten das für die verschiedenen Reporting-Anforderungen auf, die es einerseits gesetzlich gibt und die noch kommen. Und auf der anderen Seite stehen wir im Datenaustausch mit Partnern und Kunden. In diesem Segment gibt es natürlich jede Menge Marktbegleiter. Womit wir uns klar differenzieren, ist einerseits, dass wir von Anfang an eine Primärdatenstrategie verfolgen.
Das heißt, wir fokussieren uns darauf, Energiedaten aus Logistikprozessen, aus Telematik, aus Tankkarten und aus Tankvorgängen direkt zu erfassen und umzurechnen. Andererseits ist da das Thema Datenmanagement: Wir verstehen uns als Qualitätsmanagementsystem, das den Prozess für den Kunden von Anfang bis Ende begleitet – von der Datensammlung, Aufbereitung, Harmonisierung, Qualitätssicherung über die Berechnung bis zur Auswertung und zum Reporting. Das stellt uns in der Industrie auch heraus.
Moderation: Das Stichwort Primärdaten merken wir uns. Darauf kommen wir später zurück. Aber gehen wir zuerst zu Albrecht: Euer Fokus liegt eher auf der maritimen Branche. Darin unterscheidet ihr euch von ShipZero.
Albrecht Grell: Genau. Ich finde diesen Door-to-Door Ansatz mit Emissionen von Tobi wahnsinnig spannend. Wir sind allerdings diejenigen, die sich ganz speziell nur auf die maritimen, also auf die Schifffahrtsemissionen konzentrieren. Das ist unser Fokus und da sind wir unserer Überzeugung nach besonders gut. Wir verfolgen viele Geschäftsmodelle. Aber zurzeit sehen wir vor allem, dass die Schifffahrt durch die Regulatorik in Europa sehr, sehr stark unter Druck steht, beispielsweise durch die Teilnahme am Emissionshandel und dem Fuel-EU-Regime.
Das sind sehr gut gemeinte Regulatoriken, die alle ihre Berechtigung haben. Aber sie treffen auf eine Branche, die sehr, sehr kleinteilig ist und die mit der momentanen Geschwindigkeit der Regulatorik kaum nachkommt. Deshalb helfen wir unseren Kunden mit der Bereitstellung von digitalen Lösungen – also mit Software, die diese Prozesse effizient abbildet und Transparenz schafft. Ähnlich wie ShipZero sind wir dafür sehr stark im Datengeschäft drin. Das ist bei uns sehr stark auf die maritime Komponente bezogen, mit Primär- und auch mit Sekundärdaten.
Wir arbeiten also primär für die Reeder. Aber wir sehen auch ganz großen Bedarf in der Interaktion zwischen Reedern und Banken, Reedern und Versicherungen, Reedern und Transportlogistikern, die sich über Emissionsdaten austauschen wollen. Und da stellen wir unsere Lösungen ebenfalls zur Verfügung, um speziell die maritimen Emissionen besser abgreifen zu können.
Moderation: Stichwort Standardisierung. Wie kann man die Daten überhaupt vergleichbar machen? Auch darauf kommen wir noch zurück. Aber stellen wir uns zuerst die Grundsatzfrage: Verursachen Transport und Logistik tatsächlich so einen überdurchschnittlichen Anteil an schädlichen CO2-, Stickstoff- und anderen Emissionen? Seht ihr das auch so?
Albrecht Grell: Die Zahlen sagen, ungefähr 25 Prozent aller Emissionen sind durch Transporte verursacht. Die Schifffahrt macht ungefähr zweieinhalb Prozent, also nur ein Zehntel der gesamten Emissionen aus. Das ist trotzdem eine Menge, aber man muss auch verstehen, dass die Schifffahrt mit ihren zweieinhalb Prozent Emissionen 90 Prozent aller Güter weltweit transportiert. Es ist also eine sehr effiziente Transportlösung. Aber natürlich wäre es schöner, würde der Anteil bei null Prozent liegen. Daran arbeiten momentan alle.
Moderation: In anderen Segmenten des Transportgewerbes ist der Anteil noch größer.
Tobias Bohnhoff: Ich kann die Zahlen bestätigen. Aber ich glaube, beim Frachttransport kommt es auch immer darauf an, welche Studien und Quellen man heranzieht. Zwischen sechs und acht Prozent der gesamten Emissionen kommen jedoch tatsächlich aus der Branche. Und wenn man die Bewegungen, die wir ja auch mitmessen, zum Beispiel in Warehouses, Transshipment-Centern oder Terminals mit dazuzählt, dann ist man bei zehn bis elf Prozent.
Der Punkt ist jedoch dieser: Unserer ist neben den ganz großen Sektoren wie Gebäudeenergie oder dem produzierenden Gewerbe der einzige, der es in den vergangenen 30 Jahren – seit man die Benchmarks misst – überhaupt nicht geschafft hat, Emissionen zu reduzieren. Und warum? Weil immer mehr Volumen läuft, insbesondere im maritimen Bereich. Das heißt, es gibt einen Rebound-Effekt – oder eine Kannibalisierung. Einfach gesagt: All das, was man an Effizienzmaßnahmen schon eingebracht hat in das System – bessere Motoren, bessere Abgasfilter und so weiter – wird dadurch geschluckt, dass immer mehr Ware über den Globus transportiert wird.
Und vielleicht noch ein Wort zu den anderen Verkehrsträgern, um eine Einordnung zu schaffen: Wir gucken immer sehr aus der Perspektive des Straßenverkehrs auf die Zahlen. Schließlich werden dort auch 60 Prozent der Emissionen verursacht. Aber es kaskadiert hinab, weil andere Verkehrsträger deutlich effizienter sind. Luftfracht mal außen vor – die ist nochmal deutlich schlimmer, macht aber zum Glück einen deutlich geringeren Anteil im Volumen aus. Das heißt, der Straßengüterverkehr steht für uns mit im Mittelpunkt. Ein geflügelter Satz in der Logistik lautet: Jedes Produkt, das man irgendwo kaufen oder anfassen kann oder zu Hause hat, hat irgendwann mal einen Lkw von innen gesehen. Da steckt auch viel Wahrheit drin.
Moderation: Ich habe einmal gehört, dass die Luftfracht pro Tonne gerechnet 100-mal so viel Emissionen verursacht wie die Schifffracht. Kannst du das bestätigen?
Albrecht Grell: Ich habe solche Zahlen nicht vorliegen. Aber wenn ich allein die Größenordnung betrachte, kann ich mir das gut vorstellen.
Moderation: Es gibt unterschiedliche Ansätze, das alles zu berechnen. Aber vermutlich stimmen wir darin überein, dass es unsere Branche in den vergangenen Jahren nicht wirklich verstanden hat, drastisch zu reduzieren – was aber notwendig wäre. Was ist denn aus eurer Sicht im Moment der eigentliche Treiber für die Dekarbonisierung?
Tobias Bohnhoff: Ich glaube, es gibt nicht den einen Treiber, die eine Kraft, die das Ganze anschiebt. Sondern es gibt zum Glück ganz viele verschiedene Einflussfaktoren, die dazukommen. Ein besonders prominenter ist das Thema Regulierung. Weil es neu ist, weil es für viele Unternehmen eine Verpflichtung ist und weil es viele Fragezeichen aufwirft.
Ich persönlich glaube, dass mittlerweile sehr viel Initiative von Unternehmen zu erkennen ist. Gerade wenn ich mit Familienunternehmen in der Logistik spreche, die aus Überzeugung ihr Geschäftsmodell transformieren, weil sie wissen, dass es in der Vergangenheit zu 100 Prozent auf fossiler Energie aufgebaut war. Und wenn wir der Wissenschaft folgen wollen, und wissen, dass dieser Wandel der Energien da ist, dann ist es unvermeidlich, dass ich da eine große energetische Transformation vor der Brust habe wenn ich mein Geschäftsmodell und meine Firma erhalten will. Und dementsprechend gibt es immer mehr Impulse.
Das wird natürlich flankiert von Bepreisungsmechanismen, die stärker auf Treibhausgase eingeführt wurden und eingeführt werden. Und das leitet dann auch ganz gut dazu über, womit ihr euch bei OceanScore sehr intensiv beschäftigt. Ich glaube, diese Mixtur aus einem Preis, aus Regulierung und Reporting-Anforderungen sowie der Überzeugung von Kunden, inklusive auch Konsumenten-Awareness, das ist der Dreiklang, der die Bedeutung im Moment nach vorne drückt.
Albrecht Grell: Ich bin sehr dankbar, dass du gerade auch diesen unternehmerischen Ansatz erwähnst. Viele diskontieren das und sagen, na ja, die machen nur, was sie müssen. Ich sehe es bei vielen: Die Schifffahrt ist auch familienunternehmensgebunden – da sind viele, die haben Enkel, die haben Kinder, die wollen aus eigenem Antrieb, dass die Branche sauber wird, und geben sich viel Mühe.
Jetzt darf die Regulatorik und die Kostensituation nur nicht dagegenstehen. Und die EU baut jetzt in der Tat Regulatorik, die unterstützt, dass die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Ich glaube, das extremste Beispiel ist die Fuel-EU-Richtlinie, die ab 1. Januar nächsten Jahres kommt und die Emissionen pro Energieeinheit, die ich an Bord verbrauche, festlegt. Diese sieht für jede Tonne CO2, die ich über der Grenze bin, eine Strafe von 650 Euro vor. Das ist plötzlich ein richtig harter Preis. Und das wird – noch nicht in den nächsten zwei Jahren, weil die Grenzen noch nicht so hart sind, aber ab 2030 – zu echten Änderungen führen müssen.
Moderation: Sehe ich das richtig, dass diese Regelungen dann nur für die EU gelten? Man hat es bei diesen IMO-Richtlinien gesehen, dass bestimmte Bereiche wie die Nordsee, die Ostsee oder die Revierfahrt auf der Elbe spezifische Regelungen haben, also beispielsweise nur Schiffsdiesel fahren darf. Wenn die EU das nur für einen bestimmten Bereich festschreibt, dann hat doch bestimmt Auswirkungen auf den Wettbewerb?
Albrecht Grell: Ich weiß nicht, wie das in anderen Bereichen ist. Aber in der Schifffahrt hat das die EU sehr, sehr gut gemacht. Da hat sie gesagt: Egal, wo die Reederei ihren Sitz hat, von wo sie gemanagt wird, wem sie gehört – wenn dein Schiff einen europäischen Hafen anläuft, bist du dabei. Das heißt, es gibt überhaupt keine Wettbewerbsverzerrung, sondern alle werden gleich behandelt. Wenn ich Waren von A nach B transportieren will, und ich habe einen europäischen Hafen dabei, unterliegen alle den gleichen Regeln.
Moderation: Für welche Art Transporte gilt das dann? Tatsächlich nur für die Ladung, die sie nach Europa bringen? Oder sind sie in dem Moment, wo sie Europa anlaufen, mit im System?
Albrecht Grell: Für alle Schiffe, die von irgendwo außerhalb nach Europa fahren, gilt: Der letzte Hafen vor Europa bis zum letzten in Europa zählt. Wenn sie rausfahren, zählt der letzte Hafen in Europa bis zum ersten Hafen außerhalb. Und alle Transporte innerhalb von Europa zählen ebenfalls. Wenn ich einen Anbieter habe, der Containerschiffe zwischen Dubai und Rotterdam hin- und herfährt, zahlen alle die gleichen CO2-Preise, die gleichen Strafen, wenn sie zu viel emittieren.
Diese Regulatorik hat wahrscheinlich sogar einen gewissen Wettbewerbsvorteil für Europa gebracht: Die europäischen Reeder – ich schaue mich mal in Hamburg um – sind dicht dran an der Regulatorik, die kennen diese Systeme der EU, die sind viel besser vorbereitet als viele in Asien oder in Südamerika. Das heißt, mit der besseren Vorbereitung konnten sie früher agieren und sparen effektiv sogar gegenüber denen, die nicht so schnell dabei waren. Also eigentlich gut gemacht aus Sicht der EU, finde ich.
Moderation: Das hat aber nichts mit diesem sogenannten ETS zu tun, oder?
Albrecht Grell: Doch. Der ETS, also das Emission Trading System, der Emissionshandel, ist genau dieses System. Alle Emissionen werden erfasst, die auf Fahrten nach Europa, in Europa oder von Europa raus anfallen. Egal, wer sie verursacht: Jeder muss zahlen. Jetzt kann man sagen: Mensch, irgend so ein Reeder, der nach Europa fährt, der fährt wieder raus und der ignoriert das mal – das kann natürlich passieren. Aber wir wollen nicht über Einzelfälle eine ganze Regulatorik infrage stellen. Und wenn es passiert, kriegt er eine Strafzahlung aufgebrummt. Wenn er die nicht zahlt, wird für ihn Europa gesperrt. Es ist dann schon mit einem gewissen Risiko verbunden.
Moderation: Das ist ja schon ganz schön drastisch.
Albrecht Grell: Ja, das ist drastisch.
Moderation: Dann habt ihr wahrscheinlich jetzt viel zu tun bekommen? Der Stichtag steht bald bevor und vermutlich kommen jetzt einige auf euch zu, die da ein bisschen Unterstützung brauchen…
Albrecht Grell: Wir haben in der Tat extrem gut zu tun. Das ist natürlich erfreulich. Das Emissionshandelswesen, also ETS, gilt ja für die Schifffahrt schon seit 1. Januar dieses Jahres. Wir blicken auf neun sehr intensive Monate zurück. Und das ist auch noch gar nicht abgeschlossen, weil viele Nachzügler jetzt erst kommen und sagen: Oh, wir brauchen eine Lösung. Und in fünf Monaten greift ja schon die Fuel-EU-Initiative, wo dann die CO2-Intensität der Energie an Bord gemessen und versteuert wird. Dann kommt die nächste große Welle. Wir können uns über mangelnde Arbeit nicht beklagen und ihr [bei der HHLA – Anm. d. Red] baut das sehr systematisch und grundsätzlich auf. Wir sind natürlich sehr von der Regulatorik getrieben. Da kommt eine Welle nach der anderen. Wir müssen immer fertig sein, wenn sie so weit ist. Und deswegen ist das bei uns zurzeit im Hyperdrive.
Moderation: Das spricht ja schon dafür, dass die Regulatorik wirklich etwas bewirken kann. Oder bist du da eher skeptisch? Nicht jedes Gesetz, nicht jede Regel, die man aufstellt, muss ja die Wirkung haben, die der Politiker sich dabei gedacht hat.
Albrecht Grell: Was die EU hier macht, und ich nenne bewusst die EU, ist wirklich sehr, sehr gut entworfen. Das hat Hand und Fuß. Die Herausforderung ist, dass es eine Branche trifft, die sehr kleinteilig ist: Wo der Eigner des Schiffs ein anderer ist als der, der es managt, ein anderer als der, der es betreibt – und der andere verkauft es. Und da ist das Problem. Die Regulatorik per se ist wunderbar, aber die Schifffahrt ist nicht so designt, dass das richtig gut funktioniert. Das ist unser Geschäftsmodell: diese Brücke zu bauen für eine Schifffahrt, damit es letztendlich doch gut funktioniert.
Moderation: Sehen wir uns diesen Prozess durch die Brille von ShipZero an. Wenn die Manager von Familienbetrieben, die in Deutschland häufig recht klein sind, auf euch zukommen: Was sind die Probleme, die ihr zu bewältigen helft?
Tobias Bohnhoff: Die Probleme, die wir bewältigen, sind ganz vielfältig, weil auch unsere Kunden sehr vielfältig sind. Wenn man sich die Logistik von Tür zu Tür anguckt, dann hat man da erst einmal fünf Hauptverkehrsträger drinnen. Das ist die Schifffahrt mit einem sehr, sehr großen Volumen. Das ist der Straßengüterverkehr. Aber das sind genauso Binnenschiffe, die Schiene und die Luftfahrt. In all diesen Bereichen, eigene Branchen für sich, gibt es dann auch wieder Regulierung, die so spezifisch ist wie gerade gehört. Deswegen bin ich froh, dass wir ein ganz klein wenig mehr aus der Makroperspektive draufgucken können.
Und natürlich das holistische Datenmanagement und die Bereitstellung, die Aufbereitung von Daten. Also: einfach die Transparenz im Unternehmen, sich darauf vorzubereiten oder die Unternehmensprozesse entsprechend zu steuern, dass wir uns damit beschäftigen können. Ich glaube, das ist eines der Handlungsfelder, das uns am meisten umtreibt, rein von der Kapazität. Natürlich gibt es viele Fragen zur technischen Ausgestaltung von Regulierung: Was kommt da auf mich zu? Was muss ich machen? Welche Prozesse muss ich einbeziehen? Eine Sache, die aber alle Unternehmen irgendwo eint, ist: Uns ist ganz klar – dieses Thema Nachhaltigkeit müssen wir zukünftig managen. Und dazu fehlt uns aktuell noch der Steuerungsprozess.
Moderation: Also Beratung, wie ein Unternehmen an die Daten herankommt. Ihr unterstützt nicht nur, indem ihr eine Software hinstellt, sondern erstmal müsst ihr Voraussetzungen schaffen?
Tobias Bohnhoff: Jein. Das ist eine sehr gute Frage, weil: Im Kern ist unser Produkt ein Daten-Hub. Da sind verschiedene Software-Workflows angeschlossen, die das Ganze für das Unternehmen wie eine Software erscheinen lassen. Allerdings ist es nicht einfach nur ein Plug-and-Play-Modell, das man in die Steckdose steckt und dann hat man plötzlich ein Nachhaltigkeitsmanagement im Unternehmen. Das wäre auch nicht realistisch. Und so ist auch die Intention, die ich aus Regulierungstexten wie zum Beispiel der CSRD herauslese, nicht gemeint, sondern diese Regulierung, diese Reporting-Aufforderung an Unternehmen sagt eigentlich implizit: Liebe Unternehmen, beschäftigt euch mit dem Thema Nachhaltigkeit. Webt das in all eure Prozesse ein, baut einen Qualitätsmanagementprozess um das Thema. Welchen Einfluss hat euer Unternehmen, eure Geschäftsaktivität auf die Umwelt? Preist das ein und transformiert euch langfristig zu einem Geschäftsmodell, das weniger Ressourcen – vor allem weniger fossile Ressourcen – verbraucht.
Das ist in der Tat nichts, wo man jetzt einfach nur sagt, ich mach einen Doppelklick irgendwo und habe dann meine Weboberfläche und alles ist sofort klar, sondern es ist natürlich ein Change-Prozess in einem Unternehmen. Trotzdem ist unser Kerngeschäft ganz klar ein Plattformmodell, ein Datenbusiness, und der beratende Teil, den versuchen wir natürlich so stark wie möglich zu standardisieren und Unternehmen miteinander zu verknüpfen. Ich glaube, Netzwerk ist ein ganz, ganz wichtiges Stichwort, was unser Geschäftsmodell einerseits auszeichnet, aber auch dafür, wie wir das ganze Problem angehen wollen: dass der Datenaustausch und auch der Erfahrungsaustausch zwischen Unternehmen besser gelingt und einfacher wird. Das kann Benchmarking sein. Das kann die Transparenz sein: Mit welchen Unternehmern, Subunternehmern vor allen Dingen, arbeite ich eigentlich konkret zusammen und in welchem Volumen? Das ist zum Beispiel eine Statistik, die vielfach für Verblüffen sorgt. Man kennt das vielleicht aus einer Finanzabrechnung: Was bezahle ich für meine Rate?
Aber das korreliert nicht zwingend mit dem, was tatsächlich auf der Emissionsseite steht. Weil ich unterschiedliche Verkehrsarten habe: Ich habe städtische Verkehre und ich habe Fahrten mit einem voll beladenen Vierzigtonner – das sind ganz unterschiedliche CO2-Intensitäten. Das ergibt zum Beispiel schon ein Bild. Oder auch, wenn man das globaler betrachtet: Welche Lanes bringen eigentlich den höchsten Impact bei mir im Unternehmen?
Moderation: Du bist eben kurz auf das Thema Preis eingegangen. Wir haben hier bei der HHLA auch ein zertifiziertes Produkt, HHLA pure, das auf CO2-neutrale Transporte setzt. Ich habe mit dem Manager geredet und erfahren, dass einige Unternehmen nicht bereit sind, für diesen CO2-freien Transport mehr zu bezahlen. Sind die Logistiker zu geizig?
Tobias Bohnhoff: Es kommt darauf an, was CO2-frei bedeutet. Wir hatten das Thema Standardisierung am Anfang schon ganz kurz gestreift. Es gibt für die CO2-Berechnungen in unserem Bereich neuerdings eine ISO-Norm, die ISO 14083, die gewisse Voraussetzungen schafft oder Guidelines gibt, was man ausweisen kann und wie man berechnet. Kompensation, also beispielsweise das Investieren in Aufforstungsprojekte im globalen Süden, ist dort explizit als Neutralstellung von Transportleistungen, die hier in Deutschland erfolgen, nicht akzeptiert. Man kann das weiterhin als Mitigationsmaßnahme deklarieren, aber man kann seine Bilanz nicht einfach um diesen Betrag absenken.
Es kommt also sehr darauf an, was für ein Produkt das ist. Wir beschäftigen uns sehr stark mit dem Thema Book-in Claim oder Insetting. Das bedeutet: Ich habe eine nachhaltige Intervention – beispielsweise einen alternativen Kraftstoff oder eine Elektrifizierung– , die ich direkt in meinem Transportnetzwerk, etwa in meinem Fuhrpark, vornehme, und damit natürlich ganz nachhaltig die CO2-Entstehung senke. Also langfristig und nicht nur durch eine einmalige Kompensation. Das ist ein Produkt, für das wir gerade ein ganz anderes Feedback von Kunden bekommen, dass da durchaus bei entsprechender Dokumentation und Transparenz auch ein Premiumpreis durchsetzbar ist. Allerdings kommt es wirklich darauf an, dass man das Ende-zu-Ende-zertifiziert nachweisen kann. Die Standards haben sich in den letzten Jahren enorm erhöht.
Moderation: Auf der Schiene gibt es mehrere Produkte, die auch damit werben, dass sie CO2-frei sind – gibt es auch schon eine Schifffahrtslinie, die das anbieten kann?
Albrecht Grell: Gerade im Bereich der Biotreibstoffe wird der Wunsch und damit auch der Druck immer größer, CO2-neutrale Fahrten anzubieten. Das sind zwar bisher nur ein paar Prozent der Welttransportvolumina – und auch nur im Containerbereich, wo ich am Ende der Transportkette einen Konsumenten habe, den das interessiert. Im Massengutbereich ist das noch kein Thema, aber irgendwo muss es ja anfangen. Und ganz spektakulär war vor einigen Monaten eine Ausschreibung von Ikea und Amazon, die gesagt haben: Wir suchen einen maritimen Transportweg, der uns CO2-neutral so und so viel Tausend Container von A nach B bringt. Die haben das richtig ausgeschrieben. Und darüber zwingen sie die Logistiker – in diesem Fall hat Hapag Lloyd die Ausschreibung gewonnen – sich mit CO2-neutralen Brennstoffen einzudecken.
Damit bin ich wieder beim Kollegen Tobi: Was ist CO2-neutral? Da gibt es verschiedenste Diskussionen. Wir sind heute schon froh, wenn es überhaupt Biotreibstoffe sind, die zumindest weniger Emissionen verbrennen. Aber es ist der richtige Weg – und er beginnt im Bereich der Containerschifffahrt. Durch den Druck der Regulatorik und durch Leute wie uns und euch, die transparent erfahrbar machen, was der Unterschied ist, wird er enorm an Dynamik gewinnen.
Moderation: Jetzt will ich noch mal auf die Primärdaten zurückkommen. Tobi, welcher Art sind denn die Daten, die ihr benötigt? Wo kriegt ihr die her? Macht ihr da Data Mining oder müsst ihr manchmal mit Annahmen arbeiten, um so eine Transportkette abzubilden?
Tobias Bohnhoff: Da muss ich ein bisschen ausholen. Es gibt grundsätzlich drei Level vom Smart Trade Center. Das ist eine NGO aus Amsterdam, die sich global mit dem Thema Transport, Treibhausgas-Accounting sehr, sehr intensiv auseinandersetzt. Die haben einen Dreiklang definiert. Erstens gibt es den einfachsten Weg: Ich habe fast gar keine Informationen über den Transport. Möglicherweise weiß ich, wie viele Container von wo nach wo fahren; habe also nur die Relationsebene, und ich muss sehr, sehr viele Annahmen treffen, um dann tatsächlich auf einen CO2-Wert oder einen Treibhausgaswert zu kommen. Das ist die sogenannte Stufe „Default“. Also: Ich interpretiere sehr viele globale Durchschnittswerte herein, damit ich auf einen Wert komme.
Zweitens kann ich sagen, okay, ich habe vielleicht mehr Informationen in meinem System. Ich weiß vielleicht genau, welches Schiff unterwegs war. Ich weiß auch, welcher Spediteur im Vorlauf und im Nachlauf unterwegs war. Ich kann anhand des Produktes oder der Ladungsmasse des Gewichtes auch ableiten, welche Fahrzeuggröße das ist. Das heißt, ich kann mehr und mehr kleinteiligere Parameter setzen, um diese Annahmen zu verbessern. Mit dieser zweiten Stufe arbeiten wir sehr viel, weil natürlich nicht alle Daten immer in der dritten Form zur Verfügung stehen.
Und das sind dann, drittens, Energieverbrauchsdaten, sprich: Kraftstoffmengen oder -volumina oder -gewichtseinheiten, die ich anhand von chemisch-physikalischen Faktoren umrechnen und einen energetischen Wert daraus ziehen kann, wie viel CO2 und andere Treibhausgase entstehen. Das ist eine fixe Größe. Das hängt vielleicht ein bisschen von der Temperatur und Dichte ab, aber ansonsten ist das sehr, sehr genau. Und ich versuche, mich mit dieser zweiten Stufe immer näher daran zu bewegen.
Das heißt, ich speise wie eine Art Umfrage oder Befragung mit einem Sample einen Datensatz. Dabei versuche ich, so viele Daten wie möglich zu messen. Das kann über die Sensorik in Fahrzeugen passieren. Gerade im Straßenverkehr ist für uns einer der Hauptkanäle, dass wir Fahrzeug-Telematik-Daten, die seit 2017 in allen westlichen Ländern fest verbaut sind, anzapfen und über den Hersteller auswerten können. Das Gleiche funktioniert mit Tankkarten, auch mit Hoftankstellen, die integriert werden können. Dann gibt es Reporting-Schemes in anderen Verkehrsträgern, beispielsweise die Clean Cargo Initiative im maritimen Verkehr. Auch da könnte man theoretisch auf einzelne Vessel-Ebenen heruntergehen. Da liegt es häufig an der Bereitschaft der Akteure, ob diese Daten tatsächlich geteilt werden sollen oder dürfen und auch, ob die Daten, Strukturen und Architekturen bei den jeweiligen Unternehmen überhaupt dafür bereit sind. Teilweise sind wir auch in Projekten mit dem Ziele der Bereitstellung.
Moderation: Die Reeder haben vermutlich auch nicht alle dasselbe System, oder?
Albrecht Grell: Es gibt durchaus Punkte, wo all diese Datenströme zusammenkommen, die aber nicht unbedingt öffentlich verfügbar sind. Das Problem ist die Schifffahrt: Das ist alles sehr privat, wie man so schön sagt. Da haben wir den Vorteil, dass wir über unsere Lösungen im Bereich Emissionshandel oder Fuel EU Primärdaten von weit über 1000 Schiffen täglich bekommen. Wir kriegen präzise Daten, die anschließend verifiziert werden von den Klassifikationsgesellschaften. So wissen wir genau, was mit welchem Schiff passiert ist. Dann haben wir eine Menge Primärdaten, weil wir die Schiffe über Satelliten tracken.
Wir wissen von jedem Schiff, welche Maschine verbaut ist. Wir kennen die Grundemissionswerte dieser Maschinen, wir kennen Wetterdaten, Strömungsdaten. Und dann sind wir bei dem, was Tobi sagt: Natürlich gibt es irgendwo ein Modell, wir bilden die gesamte Weltflotte ab mit über 100.000 Schiffen. Aber wir haben enorm viele Primärdaten, die in dieses Modell fließen. Deswegen sind wir in der Lage, maritime Emissionen – und ich rede jetzt nur über maritim – mit einer enormen Granularität und Präzision abzubilden, weg von Durchschnitten und Annahmen, von A nach B ist immer gleich X. Das ist unser maritimes Ding und deswegen arbeiten wir da explizit mit Partnern zusammen, die auch spezielles maritimes Interesse haben.
Moderation: Also: Ihr messt richtig. Das ist jetzt nicht irgendeine KI, die dahintersteht, ein toller Algorithmus, der dann extrapoliert, sondern ihr wisst: Was verbraucht wer auf welcher Strecke mit welcher Maschine?
Albrecht Grell: Um es ganz genau zu sagen: Die Kunden, die unsere Lösungen nutzen, müssen mehrfach am Tag Reports abgeben. Eventreports heißt das in der Schifffahrt. Da steht genau drin: Was hat das Schiff gemacht, von wo nach wo ist es gefahren, von welchem Brennstoff hat es wie viel verbraucht, und und und...
Diese Reports werden zusammengeführt und einmal im Jahr, wenn sie Europa berührt haben, werden diese Schiffe automatisiert verifiziert. Auf diese Daten haben wir Zugriff, die verkaufen wir natürlich nicht, aber wir können damit unsere Modelle füttern. Genau, wie Tobi das sagt. Und dann wissen wir von jedem Schiff der Welt, wo es gerade ist und wie schnell es fährt, weil wir das über Satellit tracken können.
Wir kennen die Maschinen, weil wir die Baudaten der Schiffe kennen. Wir kennen die Verbräuche dieser Schiffe bei bestimmten Geschwindigkeiten und können all das schön zusammenfahren und kriegen darüber diese Modelle: Also Stufe zwei, aber mit sehr viel Futter aus Stufe eins. Und das bringt uns im maritimen Bereich zum Beispiel auch gegenüber Clean Cargo Working Group in eine einmalige Position.
Moderation: Wir als HHLA befinden uns an der Schnittstelle zwischen dem maritimen und den Landverkehren – und wir sind uns bewusst, dass wir damit eine große Rolle spielen. Hier in Hamburg, in Altenwerder, betreiben wir ja auch den ersten klimaneutralen Terminal. Bei uns werden die Boxen dann auf die Bahn verladen, aufs Binnenschiff, auf die Straße gebracht. Wie fließen solche Drehscheiben in eure Berechnungen ein? Hat das einer von euch auf dem Zettel?
Tobias Bohnhoff: Tatsächlich ist das eine der spannendsten Fragen, die uns in diesem Jahr ganz akut umtreiben, weil es die eben angesprochene ISO 14083 neuerdings erforderlich macht, in einem Sendungsreport Door-to-Door – für ein Packstück, einen Container, wie auch immer – genau diese Zwischenschritte mit auszuweisen. Bisher fokussierte sich das Ganze immer auf die bewegte Fracht, auf einem Lkw, auf dem Schiff und so weiter, und mittlerweile ist auch sehr relevant und verpflichtend, dass Zwischenstopps im Fußabdruck einer Sendung inkludiert werden.
Das können ganz verschiedene sein. Im Landverkehr ist es das Transshipment-Center oder das Warehouse, im maritimen Verkehr ist es häufig der Umschlag an der Kaimauer, also die Terminalbewegung. Das sorgt natürlich dafür, dass ganz neue Datenpunkte erschlossen werden müssen, nämlich aus den Verbrauchsdaten, aus den Energiedaten, die so ein Terminal dann zum Beispiel produziert. Das ist heute eine Möglichkeit, relativ schnell Dekarbonisierungseffekte zu zeigen. Wenn man als Unternehmen sagt: Wo habe ich jetzt meine größten Hebel? Oder wo ist der Euro, den ich im Dekarbonisierungsbudget am besten anlegen kann? Dann ist das heute stationär mit Grünstrom, mit Solar, teilweise mit Wind deutlich einfacher, vergleichsweise jedenfalls zu vielen Komplikationen, die man noch in der bewegten Fracht hat, zu dekarbonisieren und damit schon einen schnellen Effekt zu erzielen. Deswegen ist das bei uns aktuell ein sehr präsentes Thema.
Albrecht Grell: Ich finde es auch großartig, was ihr da gemacht habt. Das ist ein Vorreiter für viele andere Häfen, hoffe ich. Im Kontext dieses Gesprächs finde ich es fast ein bisschen kurz gesprungen. Wenn ich mir den gesamten Hafen mit den gesamten Emissionen anschaue, dann sind die landseitigen Emissionen – und nur auf die schaut ihr, wenn ihr sagt, das ist CO2-neutral – fast ein bisschen kurz gesprungen. Genauso die Art, wie der Hafen mit Schiffen interagiert: Gibt es Landstrom oder nicht? Nehmen die überhaupt Landstrom? Ist es attraktiv genug? Wie manövrieren die im Hafen, wie ist die Ansteuerung? Gibt es lange Wartezeiten, Liegezeiten, damit falsche Geschwindigkeiten auf dem Weg zum Hafen? Das wird leider ausgeklammert.
Moderation: Das würde ich so nicht sagen. Vielleicht kennst du das HVCC, das Hamburg Vessel Coordination Centre. Wir als HHLA versuchen schon, die Anläufe zu optimieren. Ob Landstrom zur Verfügung steht oder nicht, kann man nicht beeinflussen. Wir sind in Hamburg da aber relativ weit vorne. Klar, man muss noch wahnsinnig viel tun, und ich finde es auch richtig, dass du darauf hinweist.
Albrecht Grell: Ihr macht das mit HVCC auch super! Das ist, glaube ich, Benchmark für viele andere. Ich sehe nur, dass wir mit Häfen zusammenarbeiten, die sich von uns bewusst die Daten geben lassen für die gesamten Emissionen auf der Wasserseite im Hafen. Also: Was passiert am Liegeplatz? Was passiert in der Manövrierfahrt? Was passiert im Anlaufen und Ablaufen aus dem Hafen? Und ich glaube, wenn man diese ersten Schritte, die ihr jetzt gemacht habt, getan hat, wäre ein logischer nächster Schritt zu sagen, wir schauen noch ein bisschen breiter und schauen wirklich auf die gesamten Emissionen, die der Hafen verursacht. Ihr tut es auf der Landseite auch schon, aber ich schaue als OceanScore gerne aufs Wasser.
Moderation: Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass jeder eine eigene Motivation entwickelt, sich also selbst dafür verantwortlich sieht, seine Emissionen zu reduzieren. Wir können für uns sagen, wir tun das. Mit dem Ziel, klimaneutral bis 2040 zu werden, versuchen wir, unsere Produktionsprozesse umzustellen. Natürlich können wir die Trucker nur bedingt beeinflussen, die bei uns auf den Hof kommen. Wir wissen aber, da gibt es auch schon einige Bewegung mit E- oder mit Wasserstoff-LKW. Insofern: Wichtig ist, dass wir da wirklich alle motiviert sind und an einem Strang ziehen. Und da möchte ich mit euch in die Zukunft schauen. Vielleicht haben sich ein paar Leute gefragt: Ach du Gott, noch mehr Bürokratie, was müssen wir da noch alles ausfüllen? Wo müssen wir uns noch alles drum kümmern? Vor allem die sogenannten KMU, die auch schon sehr viel andere Sachen zu tun haben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Aber ich denke, das Ganze sollte auch eine Chance sein. Vielleicht können wir mal vom Ende draufgucken. Also, was sind die Chancen, die sich ergeben, wenn man da mitmacht, wenn man vielleicht sogar die Speerspitze dieser Bewegung ist?
Albrecht Grell: Ich schau mal aus Sicht der Schifffahrt drauf. Es ist ein Wettbewerbsthema. In dem Umfang, in dem Emissionen jetzt bepreist werden, ist es irgendwann einfach nicht mehr wirtschaftlich darstellbar, das Thema Emissionen nicht im Griff zu haben. Ich erwähnte vorhin, dass mit der Fuel-EU-Regulatorik jede überschüssige Tonne CO2 einen Preis von 650 € bekommt. Und wir haben 3,15 Tonnen CO2 pro Tonne Brennstoff im Durchschnitt. Da macht es schon Sinn, sich drum zu kümmern. Wer das nicht auf dem Schirm hat, der wird fünf, sechs, sieben Jahre später nicht mehr im Wettbewerb bestehen.
Tobias Bohnhoff: Finde ich super, dass du das ansprichst, weil wir es auch so sehen. Wenn man sich ein bisschen mit dem Thema Emissionsmanagement oder Erfassungsgeschichte beschäftigt, weiß man, dass das Thema jetzt nicht brandaktuell aufgekommen ist, sondern immer schon diskutiert wurde. Seit vielen Jahrzehnten, spätestens aber seit 2010, sehr intensiv. Leider ist zumindest in der Logistik seitdem wenig mit messbarem Fortschritt passiert. Einer der Kernaspekte ist, dass die Weichen noch so flexibel waren, dass das Thema Wettbewerbsfähigkeit davon noch nicht betroffen war. Aber da hat die regulatorische Seite jetzt sinnvoll nachgeschärft.
Wir sind mittlerweile auch so weit, dass uns auch nicht mehr so viele andere Optionen bleiben, wenn wir zu den vereinbarten Reduktionszielen stehen wollen. Ich würde noch eine Sache ergänzen, die wir ganz spannend finden: Das Ziel, nicht nur auf Kostenseite wettbewerbsfähig zu bleiben, sondern sich als grüner Pionier für Logistik-Service-Provider zu positionieren und damit neue Kundengruppen zu erschließen.
Es war in der Vergangenheit relativ schwer zu sagen, warum mein Laderaum so wahnsinnig viel besser ist als der meines Begleiters. Also ging es sehr stark über den Preis. Doch plötzlich ist da ein Tool, das auch sinnvoll eingesetzt werden kann, um sich da ganz neu aufzustellen, möglicherweise auch wirklich zu wachsen, von Konsolidierungsströmen zu profitieren, wo jetzt auch sehr viel Chance und Dynamik in diesen Markt kommt, weil sich sehr viel bewegt.
Albrecht Grell: Chancen aus Sicht der Schifffahrt. Da ist die Differenzierung wahrscheinlich noch nicht das Thema Richtung Kunden. Aber die Fuel-EU-Regulatorik ist so aufgebaut: Wenn ich grüner bin als ich sein müsste, kann ich diesen Überschuss verkaufen. Und das macht es natürlich spannend, plötzlich nicht nur ein Minimalniveau an Performance hinzulegen, sondern zu sagen, wie komme ich noch mal 50 Tonnen runter? Und wie kann ich diese 50 Tonnen gewinnbringend verkaufen? Da sehen wir viele unserer Kunden, die sehr smart und kreativ darüber nachdenken, wie sie aus dieser Regulatorik für sich auch eine Chance machen.
Moderation: Auch innerhalb ihres Konzerns?
Albrecht Grell: Auch innerhalb des Konzerns. Es geht aber auch extern. Vereinfacht gesagt: Ich kann mir einen beliebigen anderen Reeder suchen und sagen: Du, ich habe hier 50 Tonnen über – wollen wir uns zusammentun? Was zahlst du mir dafür, damit du die Strafe nicht zahlen musst? Das ist einer der sehr smarten Designaspekte dieser Regulatorik – dass man auch daran gedacht hat, Leute, die vorausgehen wollen, dafür zu belohnen, dass sie das tun.
Tobias Bohnhoff: Das kann ich nur unterstützen: Eine Art Pioniergeld; der Ansatz, einen Wert fürs Unternehmen daraus zu ziehen, dass man Pionierleistung betreibt. Das können wir auch in anderen Bereichen sehen. Auch die Fuel-EU-Richtlinie wird beispielsweise auf die Luftfahrt ausgerollt. Von daher gibt es viele Analogien, wo ich das nur begrüßen kann.
Moderation: Die Ausschreibungen sind auch interessant. Die werden auch eine größere Rolle spielen. Bei der Deutschen Bahn zum Beispiel gibt schon solche Ansätze. Das geht doch in eine gute Richtung. Zum Schluss noch eine Frage eher technischer Natur: Es läuft oft auf die Antriebstechnik hinaus. Wie erzeuge ich den Antrieb? Mithilfe welcher Energie? Ist es Methanol? Schweröl ist nicht mehr so sexy. Ist es Schiffsdiesel? Ist es LNG? Batterien werden in der Schifffahrt wohl keine so große Rolle spielen. Was glaubst du, Albrecht, welche Energiequelle wird sich durchsetzen?
Albrecht Grell: Glauben ist das eine. Ich schaue mal auf die Zahlen. LNG als Antriebsstoff wird von der Regulatorik eine gute Brückentechnologie für die nächsten zehn Jahre sein. So lange funktioniert das gut und gibt mir eine saubere Positionierung. Danach ist LNG zu schmutzig, um mit den sich verschärfenden Grenzwerten noch zu funktionieren. Dann kommen wir in den Bereich der Biotreibstoffe, also gebrauchtes Frittenfett, Rapsöle und so was. Die helfen mir dann nochmal weitere fünf bis zehn Jahre. Heißt: Ich muss das Thema Biomethanol, Biobrennstoffe, Biodiesel hochfahren. Danach ist Schluss – und dann brauche ich sogenannte E-Fuels, oder in der Fachsprache: RFNBOs, Renewable Fuels of Non-Biological Origins. Treibstoff, der mit erneuerbarem Strom hergestellt wird.
Das kostet zurzeit noch eine Menge Geld. Übrigens ziemlich genau auf dem Niveau, auf dem sich auch die Strafe bewegt, wenn man zu schmutzig ist. Das hat die EU also auch sehr gut austariert. Aber es gibt E-Fuels noch nicht in ausreichenden Mengen. Das ist die Migration von den jetzigen Brennstoffen über LNG als Brückenlösung hin zu den Bio-Brennstoffen und dann letztendlich die E-Brennstoffe, wenn man davon genug produzieren kann.
Moderation: Auf der Straße sieht es, glaube ich, ein bisschen anders aus...
Tobias Bohnhoff: Wenn ich die Brille der Landverkehre aufsetze, gibt es auch keine Silver Bullet – also die eine Sache, die alles komplett lösen wird. Aber es gibt Horizonte. Der Biokraftstoff ist wohl aktuell die Maßgabe, gerade Drop-in-Fuels, also HVO-100, die ich auch mit einem ganz normalen Diesel-Lkw tanken kann.
Moderation: Das ist so ein neuer Standard, oder?
Tobias Bohnhoff: Genau, das ging kürzlich relativ stark durch die Medien. Bei einem Diesel-LKW ist dafür keine Umrüstung nötig. Das ist etwas, was sofort hilft. Von der kapazität natürlich noch kritisch und wird wahrscheinlich in einem Fünf- bis Zehn-Jahres-Horizont noch stärker in den Beanspruchungskonflikt mit Luft- und Seefahrt geraten.
Von daher ist es im Landverkehr, gerade im Straßengüterverkehr, sicherlich ganz klar, dass der Weg in die Elektrifizierung gehen muss. Alleine um diesem Ressourcenkonflikt ein Stück weit auszuweichen. Und weil es für sehr viele Bereiche einfach das optimale Setup ist, was die Energieeffizienz angeht. Wenngleich man das immer ein bisschen disclaimern muss, weil es natürlich immer Leute gibt, die sagen: Ah, für mein Geschäft geht das nicht. Und das ist auch so. Es gibt wahrscheinlich einige Bereiche, bei denen das schwierig wird: sehr abgelegene Terrains, sehr hügelige Landschaften und so weiter. Da wird man immer noch auf flüssige Kraftstoffe zurückgreifen müssen.
Aber wenn wir über Zentraleuropa und die großen Verkehrsachsen reden, können wir das extrem gut elektrifizieren. In Nordamerika ganz genauso. Von daher: Die Bereiche, wo aktuell die größten Emissionsherde auf den Landverkehrsseiten stattfinden, kann man wunderbar elektrifizieren. Allerdings erst ab 2030. Da erwarten die Hersteller ungefähr eine Kostenparität eines schweren E-Lkws im Vergleich zum Diesel, wenn man sich die Total Cost of Ownership – also Anschaffungskosten inklusive der Betriebszeit und der laufenden Kosten – anguckt. Das wird ein Tipping Point, wenn die Verkäufe in eine komplett andere Richtung gehen. Und auch danach kann es wieder Regulierung geben, die sagt, es gibt irgendwann einen Hard Stop, wann Verbrennungsmotoren verkauft werden. Mal gucken, wie lange das so bleibt.
Moderation: Und es ist wahrscheinlich auch die Produktionstechnik, wenn man jetzt so ein Hub- und Shuttlesystem hat oder Antennenverkehr. Wie man organisiert, dass die LKW zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufgeladen werden – bietet ihr da Unterstützung?
Tobias Bohnhoff: Ich kann keine genaue Prozentzahl nennen, würde aber aktuell sagen: Deutlich über 90 Prozent aller im Einsatz befindlichen Elektro-Lkw sind in Hub-to-Hub-Verkehren; wenn wir jetzt über wirklich schwerere Lkws sprechen. Das heißt, da wird wenig auf der Straße oder unterwegs geladen. Dafür ist die Infrastruktur noch nicht ausgestattet. Das wird der nächste Schritt der Evolution sein und dann wird auch die Komplexität höher.
Im Moment ist es vergleichsweise einfach zu sagen: Ich habe einen Netzwerkverkehr und für eine Strecke, die ich in der Reichweite relativ gut abschätzen kann, habe ich Ladepunkt 1 und Ladepunkt 2 – und dazwischen pendelt ein Fahrzeug. Das ist der einfachste Ansatz, den ich auch immer empfehlen würde, wenn man sich der Technologie nähern will: Nimm die low-hanging fruit, die du erst mal ernten kannst. Und mit mehr und mehr Penetration von mehr Fahrzeugen wird es natürlich komplexer – und dann kommen die Daten ins Spiel. Ich glaube, da haben wir eine wunderbare Ausgangssituation: Dass man auf unserer Datenbasis wahnsinnig viele Anwendungsfälle identifizieren und ausbauen kann, über die heute noch ganz wenige Leute nachdenken und sprechen. Von daher: Für uns ist es sehr charmant, da am Ball zu bleiben und zu gucken, wo unsere Berechtigung ist, vielleicht noch eine Lösung anzubieten.
Albrecht Grell: In der Schifffahrt ist es ähnlich. Batterien machen in der Schifffahrt keinen Sinn. Dazu ist die Energiemenge, die wir brauchen, für die meisten internationalen Verkehre einfach zu hoch. Aber es gibt hier schon seit Langem die Initiative der Green Corridors, wo sich zwei Häfen zusammentun und sagen: Entlang dieser Häfen wollen wir bestimmte Verkehre CO2-neutral oder -reduziert ermöglichen.
Das ist wiederum genau die Frage der Ladeinfrastruktur – nicht Strom, sondern: Sind bestimmte Biotreibstoffe wie etwa Ammoniak verfügbar? Und wenn ich dann von A nach B pendle, habe ich nicht das Verfügbarkeitsproblem, das ich hätte, wenn ich in der freien Fahrt über die Ozeane der Welt fahre und Ladung suche. Ganz ähnliche Ansätze also auch dort. Auch das wird sich von diesen Green Corridors in eine breite Anwendung entwickeln.
Moderation: Man sieht, dass es eine Reihe von interessanten Ansätzen gibt, und wir wissen alle noch nicht, welche davon sich durchsetzen. Aber es gibt viele Leute, die sich darüber Gedanken machen, so wie ihr, so wie wir auch bei der HHLA. Wir alle müssen in der Logistik an vielen Hebeln drehen, um endlich die Emissionen zu reduzieren. Bisher haben wir das leider noch nicht geschafft. Das war ein toller Einblick von euch, tolle Anregungen. Viel Erfolg mit euren Unternehmen und mit den Lösungen, die ihr anbietet.
Albrecht Grell: Und vielen Dank von uns.
Tobias Bohnhoff: Herzlichen Dank für die Einladung. Hat Spaß gemacht.
Veröffentlicht am 23.9.2024