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Auf dem Bildschirm erscheint eine Zeile, deren erstes Feld „Origin“ mit „Jena, DE“ ausgefüllt ist. Dann folgt eine ganze Reihe von technischen Angaben, farbigen Zeitfenstern und schließlich gelangt man zu „Destination: Pasir Gudang, MY“. Ein Container mit optischen Geräten soll aus Deutschland nach Malaysia transportiert werden. Was die gängige Software bisher allerdings nur selten im Blick hat: Wie groß ist die Menge an CO2, die auf der geplanten Route ausgestoßen wird?
Klimafreundliche oder sogar zertifiziert klimaneutrale Transporte verlangt eine wachsende Zahl an Verladern. Auch der Konsumgüterkonzern Beiersdorf verfolgt eine ehrgeizige Nachhaltigkeitsagenda. Um seine Ziele zu erreichen, hat er die digitale Plattform des Ulmer Anbieters Transporeon auf seine gesamte globale Seefrachtabwicklung ausgeweitet. "Das spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung eines nachhaltigen 24-Stunden-Betriebs zur Unterstützung unseres globalen Logistiknetzwerks“, sagt Malte Schulz, Vice President Supply Chain EU & NA bei Beiersdorf. Alle Akteure entlang der Transportkette können weiterhin mit ihren unterschiedlichen IT-Systemen arbeiten, denn die digitalen Dokumente werden automatisch mit dem Container mitgesendet und sind über die einheitliche Plattform zugänglich.
Zu den KI-gesteuerten Transportlogistik-Plattformen von Transporeon gehört unter anderem ein „Sustainability Hub“, der für umweltbewusste Unternehmen besonders interessant ist. Sie können dort ihre CO2-Emissionen bis zur letzten Palette ermitteln und dann auch zielgerichtet reduzieren. Die Lösung „Carbon Visibility“ kombiniert Daten von Verladern, Logistikdienstleistern und Spediteuren und bietet nach Herstellerangaben „Zugriff auf alle Emissionsdaten an einem Ort, um Tendenzen und Ineffizienzen zu erkennen und informierte Entscheidungen zu treffen“. Per Programmierstelle (API) lassen sich Transportmanagementsysteme und Telematikdaten beliebig anschließen.
Noch sind allerdings unterschiedliche, schwer zu vernetzende Schnittstellen ein Hindernis in der Datenkommunikation, zum Beispiel für den Versender der optischen Geräte aus Jena. Ihm kann die Emissionsdatenplattform Shipzero helfen, die keineswegs nur Schiffe betrachtet. Der Name leitet sich ab von „to ship“, also versenden. Zero steht für den Anspruch, „unsere Kunden bei der Dekarbonisierung des Logistikbereichs zu unterstützen“, sagt Martin Jacobs, Director Client Solutions des Hamburger Unternehmens. „Es gibt erheblichen Nachholbedarf in der Branche und gleichzeitig viele neue regulatorische Standards, die eingehalten werden müssen.“
Wir integrieren primäre Verbrauchsdaten von Transport- und Logistikunternehmen, um präzise und validierte CO₂-Werte zu ermitteln.
Ungefähr 40 Mitarbeitende kümmern sich für zahlende Kunden als Erstes um die Konsolidierung und Harmonisierung der vielen unterschiedlichen Daten, die einen logistischen bzw. Transportauftrag begleiten. „CO2-Reporting ist kein Plug-and-play-Modell“, warnt Jacobs. Manchmal ist allein der Abgleich interner Daten aus unterschiedlichen Abteilungen eine Herausforderung, gar nicht zu reden von nationalen Besonderheiten bei einer globalen Lieferkette. Shipzero lässt sich in die Steuerungs- und Dispositionssysteme seiner Kunden integrieren und enthält modellierte Emissionsfaktoren für sämtliche Verkehrsträger und globale Transportrouten. Daraus kann der Kunde ableiten, welche Hebel er ansetzen und an welchen Stellschrauben er drehen muss, um den „carbon footprint“ eines Transports zu senken. „In vielen Fällen müssen dafür Annahmen getroffen werden“, erklärt Jacobs. „Gleichzeitig sammeln wir ständig Daten, um das Bild zu verfeinern. Dafür integrieren wir primäre Verbrauchsdaten von Transport- und Logistikdienstleistern, um präzise und validierte CO2-Werte zu ermitteln.“ Als Beispiel nennt er Sovereign Speed, das Bio-Kraftstoffe der neuen Norm HVO100 einsetzt. In einem solchen Fall kann über die Fahrzeugtelematik präzise ermittelt werden, wie hoch die CO2-Einsparung im Vergleich mit herkömmlichem Diesel auf einer konkreten Strecke bei einem Transportauftrag ist.
Auch mithilfe von Buchungs- und Vermittlungsportalen können Transporte klimafreundlicher gestaltet werden. Jedenfalls wenn sie den Kombinierten Verkehr (KV) erleichtern, so wie modility, ein Tech-Start-up der HHLA. Bei jeder Suchanfrage zeigt das modility-System in einer Liste mit verschiedenen Transportoptionen an, wie hoch das jeweilige CO2-Einsparpotenzial im Vergleich zum Lkw ist. Spediteure können leichter Bahntransporte integrieren, weil sie über die Plattform mehr als 800 intermodale Verbindungen von 55 Operateuren einfach finden, planen und direkt beim Anbieter online buchen können. „Und wenn die Ladung einmal nicht rechtzeitig da ist, kann eine Buchung direkt über unser Portal auf eine spätere Abfahrt geschoben werden“, erläutert Nils Funke, Marketingexperte bei modility. „Seit dem Go-live unserer Plattform wurde mit allen über modility gebuchten Schienentransporten so viel CO2 eingespart, wie 172 Hektar Wald pro Jahr binden“, sagt er. Funke kann sich zukünftig auch ein ausführliches Nachhaltigkeitsreporting vorstellen. Perspektivisch will die KV-Plattform „im Rahmen von verschiedenen Förderungen“ europaweit auch Binnenschiffs- und Fährverkehre im Short Sea Shipping integrieren, ebenfalls ökologisch vorteilhafte Verkehrsträger.
Ambitionierte Ziele beim Klimaschutz setzt sich Singapur, bedeutendster maritimer Standort der Welt und Hamburgs drittgrößter Handelspartner beim Containerumschlag. Der südostasiatische Hubhafen wickelt rund ein Siebtel des globalen Transhipments ab und trägt 0,11 Prozent zu den weltweiten Emissionen bei. Bis 2050 sollen die Terminals Netto-Null-Emissionen erreichen. Helfen soll die forcierte digitale Vernetzung der vielen Akteure, die in einem Hafen zusammentreffen. Es geht vor allem um minimierte Leerlaufzeiten von Schiffen und Fahrzeugen sowie kürzere Hafenaufenthalte, um die Schadstoffe in der Luft des logistischen Ökosystems zu reduzieren. Als zentrale Plattform hat die Maritime & Port Authority of Singapore (MPA) das Maritime Single Window „digitalPORT@SG“ gelauncht. Es ist eingebettet in ein Just-in-time-(JIT-)Planungs- und -Koordinierungssystem. Damit lassen sich nicht nur Hafenanläufe effizienter planen, sondern auch Dienstleistungen wie Umschlag oder Betankung.
Allein in Westeuropa gibt es in jedem Hafen ein Port Community System, aber eine Verknüpfung mit ihnen ist nur sehr schwer herzustellen.
Das Wachstum in Singapur ist rasant: Bis 2040 soll der Tuas Mega Port mit einer Kapazität für 65 Millionen TEU zum größten vollautomatischen Hafen der Welt werden. Dafür testet die MPA momentan ein Schiffsmanagementsystem mit einer Zukunftstechnologie. Künstlicher Intelligenz (KI) kann auf der Basis von sehr großen bekannten Datenmengen zukünftige Werte berechnen – also praktisch voraussagen. Damit können auch komplexe Prozesse in der Hafenlogistik nachhaltiger werden. Der Hafen Singapur arbeitet unter Hochdruck und will schon 2025 die KI-basierte Plattform „Next Generation Vessel Traffic Management System“ (NGVTMS) starten. Als Dateninfrastruktur baut die MPA mit Partnern das größte 5-G-Netz der Welt über Hafengewässern auf.
„Es geht nicht nur um den Aufbau digitaler Systeme, sondern auch um eine gute Konnektivität zwischen den Systemen“, sagt David Foo, Assistant Chief Executive of Operations Technology bei der MPA. Das solle „zu einer effizienteren Nutzung des Treibstoffs führen und unnötige Kohlenstoffemissionen reduzieren“. Dafür müssen sich die Terminalbetreiber, Verlader, Spediteure, der Zoll, die Reedereien, Bahnunternehmen und Trucker optimal abstimmen. „Das passiert auch schon überall in den Häfen der Welt“, sagt Sven Daniels, Partner bei der HHLA-Beratungstochter HPC Hamburg Port Consulting. Er beobachtet, dass digitale Plattformen nicht mehr nur genutzt werden, um die Produktivität zu steigern: „Jetzt sind die Nachhaltigkeitsziele ein großer Hebel.“ Doch er weist auf eine Schwachstelle hin: „Allein in Westeuropa gibt es in jedem Hafen ein Port Community System, aber eine Verknüpfung mit ihnen ist nur sehr schwer herzustellen.“ Für nachhaltige Logistik findet er übergreifende Systeme wie ein Maritime Single Window à la Singapur sinnvoller.
Der Hamburger Hafen ist bei der Vernetzung und Datenkommunikation anerkannter Vorreiter. Ein ausgezeichnetes Beispiel für den überbetrieblichen Informationsaustausch ist das HVCC Hamburg Vessel Coordination Center. Das Gemeinschaftsunternehmen von HHLA und Eurogate hat schon vor vielen Jahren eine ähnliche Anlaufsteuerung für Schiffe wie Singapur entwickelt. Es agiert als zentrale Koordinationsstelle für Großschiffs-, Feeder- und Binnenschiffsverkehre. Früher wurden in Schifffahrt und Hafenwirtschaft viele Informationen per Telefon oder Mail übermittelt. „Durch digitale Prozesse aggregieren wir Daten, erstellen ein ganzheitliches Lagebild für den Hafen und planen Schiffszuläufe bereits Tage im Voraus“, erklärt HVCC-Geschäftsführer Gerald Hirt. Indem solche Plattformen die richtigen Daten zur richtigen Zeit liefern, machen sie Logistik nachhaltiger. Hirt rechnet vor: „Wenn ein 18.000-TEU-Schiff von Rotterdam nach Hamburg statt mit 18 Knoten optimiert mit nur 14 Knoten fährt, lassen sich über 22 Tonnen Treibstoff und 66 Tonnen CO2 einsparen.“
HPC-Experte Daniels sieht Hamburg und andere europäische Logistikdrehscheiben beim Thema Nachhaltigkeit weit vorne, während es in den USA „fast nichts an Plattformen oder Datenaustausch“ gibt. Fehlanzeige auch für Verkehre auf dem Mittelkorridor der Eisernen Seidenstraße. Die Plattform der EcoTransIT World Initiative (EWI) ermöglicht zwar eine CO2-Berechnung für Teilstrecken. Für eine kohlenstoffarme Zukunft ist es nach Auffassung des Global Shipping Business Network (GSBN) aber essenziell, „Daten zur Emissionsreduzierung über die gesamte Lieferkette hinweg genau zu messen und zu verfolgen“. Das unabhängige Technologiekonsortium in Hongkong baut deshalb eine digitale Plattform auf und vereinbarte im Juni 2023 eine Wissenspartnerschaft mit dem Global Centre for Maritime Decarbonisation (GCMD) in Singapur. Gemeinsames Ziel ist, „die Transparenzlücke zwischen Digitalisierung und Dekarbonisierung zu schließen“. Das gilt für die gesamte Logistikbranche, die ihren erheblichen Einfluss auf Natur und Umwelt drastisch reduzieren könnte, wenn das gelingt.
Patrick Alexander Rugenstein jongliert täglich mit nautischen und vielen anderen Daten. Im Team von HVCC werden mithilfe ausgefeilter Software die meisten der in Hamburg einkommenden und auslaufenden Schiffe koordiniert, für den laufenden und die folgenden Tage. Deshalb die vielen Bildschirme. Die Idee eines nachhaltigen Einsatzes von Ressourcen stand Pate, als die HHLA und Eurogate das Gemeinschaftsunternehmen 2009 gründeten. Warum und wie HVCC diese Rolle mit großem Erfolg ausfüllt, können Sie in diesem Beitrag lesen.
Veröffentlicht am 9.8.2024