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In den letzten Jahren hat sich einiges erleichtert für Bahntransporte im grenzüberschreitenden Verkehr, resümiert Josef Doppelbauer, Executive Director der European Union Agency for Railways (ERA). Doch er sieht auch noch viele Mängel. Manche Frachtzüge stecken wegen nationaler Sicherheitsvorschriften viel zu lang im Grenzbereich fest, und in der Infrastruktur vieler Länder gibt es Kapazitätsengpässe. Lesen Sie im HHLA Talk das ganze Interview.
Wir möchten mit Ihnen vor allem über Bahntransporte im grenzüberschreitenden Verkehr reden. Was hat diese Güterverkehre für ein europäisches Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) in den letzten Jahren erleichtert?
Eines hat sich klar verbessert, und zwar durch die Einführung von EU-weit gültigen Fahrzeugzulassung für Frachtwaggons. Seit Juni 2019 werden diese durch die Eisenbahnagentur der Europäischen Union erteilt, und EVUs sparen erheblich Zeit und Kosten bei der Marktzuführung des Rollmaterials.
Trotzdem gibt es immer noch in vielen verschiedenen Staaten unterschiedliche technische Standards und weitere Anforderungen, die grenzüberschreitende Transportlösungen erschweren. Welche Hürden sind aus Ihrer Sicht die höchsten?
Unserer eigenen Studie zufolge können im Schienengüterverkehr erhebliche Zeiteinsparungen erzielt werden, wenn technische und betriebliche Abläufe im grenzüberschreitenden Verkehr harmonisiert werden. Die ERA hat seit 2016 die Zahl der nationalen technischen Regeln für Fahrzeuge von mehr als 14.000 auf weniger als 1.000 reduziert. Allerdings können die verbleibenden nationalen Regeln den entscheidenden Zeitverlust an der Grenze verursachen, wie wir zum Beispiel in der Analyse der Frachtstrecke von Brenner (Italien) nach Steinach in Tirol (Österreich) feststellen mussten. Frachtzüge stecken dort wegen nationaler Sicherheitsvorschriften fast eine Stunde lang im Grenzbereich fest.
Genau solche Regeln führen dazu, dass der Frachtverkehr lieber auf der Straße transportiert wird, wo es solche Regeln schlicht nicht gibt. Wir brauchen ein europäisches Denken auf Seiten der nationalen Entscheidungsträger. In der heutigen Zeit müssen europäischen Bürgern europäische Verbindungen geboten werden, die Zeit des nationalen Staatsbahndenkens muss vorbei sein.
Mit welchen Mitteln wollen sie das verändern?
Bei der ERA werden wir die nationalen Sicherheitsregeln mithilfe der nationalen Behörden weiter reduzieren. Auch die technische Harmonisierung des europäischen Eisenbahnsektors wollen wir mit verbesserten technischen Regeln (TSIs) weiter vorantreiben. Das Regelwerk wird rückwärts kompatibel sein, um bestehende Investitionen zu schützen. Es kommt im Paket um zukünftige Technologien wie das neue Funksystem FRMCS, automatisches Fahren, Cybersicherheit, automatische Kupplung zu unterstützen. Damit ist der technische Beitrag zur Europäisierung des Bahnsystems geleistet. Das muss allerdings von einem starken politischen Willen flankiert werden, in das Bahnsystem zu investieren und bei der Planung und Koordination des grenzüberschreitenden Verkehrs europäisch zu denken.
Nehmen wir einmal eine Besonderheit, die gerade besonders im Fokus steht: die unterschiedliche Festlegung der Energiepreise in Europa. In Deutschland können EVUs ihre Energie selbst einkaufen. In Ländern wie beispielsweise der Slowakei oder Ungarn werden die Energiemengen zentral über eine staatliche Institution für alle EVUs eingekauft. Wie soll ein europäisches Unternehmen unter diesen Bedingungen seine Preise kalkulieren und Planbarkeit sicherstellen?
In Krisenzeiten fällt die Aufgabe der Preisregelung im Energiesektor oft auf die Nationalstaaten zurück, wie wir derzeit feststellen können. Auch hier braucht es eine europäische Koordination der Preispolitik, so dass alle Wettbewerber in allen Mitgliedsstaaten unter den gleichen, fairen Bedingungen agieren können.
Gibt es die Möglichkeit, einen länderübergreifenden Strompreis festzulegen oder zu deckeln?
Die Möglichkeit gibt es sicherlich, aber dazu bräuchten wir Konsens auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten.
In der Infrastruktur vieler Länder gibt es Kapazitätsengpässe. Wie könnte man hier die übergreifenden Bedingungen für den Güterverkehr verbessern?
Wir brauchen mehr Durchschlagskraft bei der Umsetzung europäischer Regeln. Gerade bei den Frachtkorridoren stellen wir immer wieder fest, dass die Infrastruktur in manchen Mitgliedstaaten rechtzeitig und regelkonform in Betrieb genommen wird, während in Teilabschnitten in anderen Mitgliedstaaten noch nichts passiert ist. Damit wird die gesamte Logik des grenzüberschreitenden Korridors außer Kraft gesetzt.
Man muss dafür sorgen, dass die einzelnen Rädchen des Gesamtsystems gut ineinandergreifen und den grenzüberschreitenden Verkehr somit eben auch wirtschaftlich attraktiv machen. Oft sind es lokale Politiker, die echtes Interesse an grenzüberschreitenden Frachtverkehr haben; deren Enthusiasmus wird aber leider oft durch nationale Mechanismen gebremst.
Wäre es möglich, die Diskriminierung des Güterverkehrs gegenüber dem Personenverkehr aufzuheben?
Möglich ist es, nur spricht der Trend der letzten Jahre dagegen – denn dafür bräuchte man Redundanzen im Netz. Die hat man zum Beispiel in Deutschland, über Jahre abgebaut, um kurzfristig Kosten zu sparen. Somit gibt es heutzutage selbst auf den Arterien des Systems kaum noch Ausweichmöglichkeiten. Es wird Jahrzehnte brauchen, um diese Entwicklung rückgängig zu machen, und in vielen Fällen wird es unmöglich sein, weil entsprechende Grundstücke und Rechte mit verkauft wurden.
Wir müssen uns heutzutage darauf konzentrieren, das Beste aus dem heutigen Streckenbestand herauszuholen, und die Kapazitäten zu erhöhen. Moderne, integrierte, digitale Zugsteuerung bietet die Möglichkeit, punktgenau zu planen und zu koordinieren, und eventuell bestünde darin die Möglichkeit, die generelle Diskriminierung des Güterverkehrs vis-a-vis dem Passagierverkehr zumindest teilweise aufzuheben.
Die EU hat einen umfassenden Green Deal vereinbart. Wie unterstützt er den ökologisch vorteilhaften Schienenverkehr?
Der EU Green Deal formuliert auf höchster politscher Ebene ambitionierte Ziele, die europäische Wirtschaft bis 2050 klimaneutral zu machen. Es gibt konkrete Ziele für den europäischen Verkehr. Das Emissionsniveau soll bis 2050 um 90% reduziert werden; unter anderem dadurch, dass man den Anteil des Schienenfrachtverkehrs verdoppelt.
Im Jahre 2023 wird die TEN-V Verordnung modifiziert, und zwar mit explizitem Fokus auf die neun europäischen Frachtkorridore. Zum Beispiel sollen auf den Korridoren kurze Wartezeiten für den Frachtverkehr festgelegt werden. Auch ein systemweiter Standard, um Lkws auf Frachtzüge zu bringen wird diskutiert.
Kommen wir zum Stichwort digitale Kupplung (DAC). Für ihre Einführung werden die Kosten pro Waggon auf 30 bis 35.000 EUR geschätzt. Gibt es eventuell effizientere Neuerungen im Bahnverkehr, die für weniger Geld erreicht werden können?
Die digitale Kupplung soll dafür sorgen, dass der Schienenfrachtverkehr den technischen Standard des 19. Jahrhunderts verlässt und – wie der Rest des Transportsystems – im 21. Jahrhundert ankommt. Für die Digitalisierung der Schiene, und damit auch einen erheblich verbesserten Service für die Kunden, ist die DAC unumgänglich. Es ist aber in der Tat unumgänglich, eine effiziente, standardisierte technische Lösung in den Markt zu bringen – nur dann werden sich die Investitionen lohnen. Wir sind dazu mit unseren Partnern vom „Europe's Rail Joint Undertaking“ in stetem Austausch.
Soll eine Digitale Kupplung auf gesamteuropäischer Ebene eingeführt werden? Wenn ja, wer wird die Umrüstung bezahlen?
Ja, die digitale Kupplung muss auf europäischer Ebene eingeführt werden, und man wird unter anderem auf eine europäische Kofinanzierung zurückgreifen können.
Veröffentlicht am 24.1.2023