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In Hamburg entstand vor 20 Jahren der damals modernste Containerterminal der Welt. Mit Tesla-Geschwindigkeit würde man heute vielleicht sagen, oder genauer: mit HHLA Geschwindigkeit. Für den HHLA Talk wühlten ehemalige Kollegen in ihren Erinnerungen und förderten erstaunliches zutage.
Martin Schubring (links) und Ulrich Spindel erinnern sich an die Entstehung des Container Terminal Altenwerder.
Ich habe heute zwei Gäste, die sich vielleicht als Erstes vorstellen könnten. Guten Morgen.
Ulrich Spindel: Guten Morgen, dann fange ich mal an. Mein Name ist Ulrich Spindel. Ich war beim Aufbau des Terminals Altenwerder zuständig für die IT. Und zwar für alles, was damit zusammenhängt. Für die Software, für die Hardware, für die Infrastruktur, für Auswahl, Marktrecherche, Selberbauen... Bis zur Inbetriebnahme und auch darüber hinaus.
Martin Schubring: Mein Name ist Martin Schubring. Ich habe 1999 bei der HHLA begonnen und habe mich vom ersten Tag an um die Beschaffung von Containerbrücken gekümmert. Aus diesem Grunde bin ich dann im Altenwerder-Projekt für die Beschaffung und Inbetriebnahme der Umschlagsgeräte eingesetzt worden und war dafür verantwortlich.
Zu Beginn haben wir uns heute ein paar alte Bilder angeguckt. Da sah es teilweise aus wie auf einer riesengroßen Straßenbaustelle. Wenn ihr euch erinnert: Was fällt euch als Erstes ein?
Ulrich Spindel: Viel Sand. Beim ersten Mal, als ich in Altenwerder war, war das ein Spülfeld. Man sah Sand und Wasser und sonst wenig.
Martin Schubring: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Es gab eine kleine Baustelleneinrichtung von der Hamburg Port Authority und viele Rohre, aus denen ununterbrochen Sand und Wasser spülten. Damit wurde das Gelände auf Höhe gebracht, und es war eine riesige Sandwüste.
Tatsächlich wurde erst kurz vor der Baustelleneinrichtung damit begonnen, das Feld zu begradigen und die Kaimauer einzurichten. Martin, kannst du dazu etwas erzählen, zu den vorbereitenden Arbeiten?
Martin Schubring: Ja, die vorbereitenden Arbeiten wurden von der HPA durchgeführt, die in Hamburg ja zuständig ist für die Uferbefestigung - hier die Kaimauer - und für die Herrichtung des sogenannten Planums. Das ist eine Fläche, die auf die gewollte Höhe über Normalnull zu bringen war. Da hat HPA Sand aufgespült in großen Mengen, wohinter mit Sicherheit ein gewaltiges Materialmanagement im Hamburger Hafen stand, und hat dann angefangen die Kaimauer zu konstruieren und dann auch zu bauen. Das war, vielleicht ein bisschen überraschend, eine Landbaustelle. Das heißt, HPA hat diese Kaimauer in die vorhandene Böschung hineingebaut. Und erst, als sie damit fertig war, den wasserseitigen Teil, also das Material im Wasser, weggebaggert.
Zur Vorbereitung gehört auch, dass in der Speicherstadt viel Papier beschrieben wurde. Ein Jahr lang habt ihr viele verschiedene Umschlagskonzepte ausgearbeitet und dem Vorstand vorgelegt. Wer von euch hatte mit dieser Vorbereitungsphase etwas zu tun?
Martin Schubring: Also, ich hatte mit der Vorbereitungsphase sehr viel zu tun, ich war vom ersten Tag an dabei. Es begann mit der Bildung eines kleinen Projektteams. Das waren zunächst nur 5 bis 7 Menschen, die hier in drei Büros im Block T der Speicherstadt saßen und sich Gedanken gemacht haben. Wie könnte man denn auf einer grünen Wiese bzw. auf diesem Sandfeld ein Containerterminal konstruieren? Dazu haben wir die verschiedensten Möglichkeiten von bewährten - und auch noch nicht bewährten - Umschlagsystemen, die es in der Welt so gab, betrachtet und miteinander verglichen. Und aus vielen Möglichkeiten wurden fünf, und aus diesen fünf haben wir uns dann im Team, das langsam größer wurde, drei Umschlagssysteme ausgesucht. Die wurden detailliert untersucht, wirtschaftlich bewertet und dann dem Vorstand zur Entscheidung vorgelegt.
Das war ja ein totales Greenfield-Projekt, sowas hatte es noch nicht gegeben. Man könnte sagen, ihr habt es vom Reißbrett entworfen. Zum Stichwort Automatisierung. Das heißt natürlich, dass die IT dort auch eine ganz besondere Rolle gespielt hat. Vielleicht, Ulli, kannst du mal was zu der Rolle der IT sagen? Die war ja damals nicht von der Stange zu bekommen.
Ulrich Spindel: Ja, das wussten wir zu dem Zeitpunkt aber noch gar nicht. Die IT ist eigentlich ins Spiel gekommen, als die Entscheidung für ein System mit AGVs (autonom fahrende Containertransporter) und mit Zwei-Katz-Containerbrücken gestanden hat. Wir haben als erstes eine Recherche gemacht und 33 weltweit operierende Anbieter untersucht, ob sie in der Lage sind, ein solches System zu unterstützen. Das Ergebnis war: Keins von den 33 entsprach den Anforderungen. Zwei wesentliche Gründe gab es dafür. Der eine war dieses Automatikkonzept, also ein hoher Automatisierungsgrad, der von den Standardsystemen nicht unterstützt wurde. Und dann das Hamburger Umfeld! Mit Hamburger Umfeld meine ich die Datenverbindungen, die es im Hamburger Hafen gab, zu den zentralen Systemen, zu den Spediteuren, zu den Reedereien und so weiter. Die wurden natürlich alle nicht abgebildet. Das führte dazu, dass die HHLA sich dafür entschieden hat, ein eigenes System aufzubauen. Der Kern, das Zentrum ist ein automatisches Steuerungssystem, das die verschiedenen Komponenten miteinander verbindet: die Fahrzeuge für den Horizontaltransport, Containerbrücken, das Lager und auch die Zugmaschinen im Hinterland.
Das ist das, was man ein Terminal Operating System oder auch TOS nennt.
Ulrich Spindel: Genau, das beschreibt das ganz gut. Der Betrieb des Terminals wird mit diesem System unterstützt.
Und ihr habt da eine damals noch recht neue Computersprache verwandt.
Ulrich Spindel: Wir haben im Jahr 1999 mit zwei Vorstudien angefangen. Das eine war eine Architekturvorstudie, wo die Grundlagen gelegt wurden und wo mehrere Entscheidungen gefallen sind. Zum Beispiel, dass in der sogenannten Objektorientierung programmiert werden sollte und dass die Programmiersprache Java benutzt werden sollte. Die war insbesondere deshalb interessant, weil sie als eine der wenigen ermöglichte, auf verschiedener Hardware zu laufen. Es wurden verschiedenste Tools und Frameworks und auch eine Datenbank ausgesucht. Das war die zweite Vorstudie, die Datenbankuntersuchung, wo wir uns zwei unterschiedliche, auch systemisch unterschiedliche Datenbanken angeguckt haben. Das ist übrigens auch ein Beispiel dafür, dass man durchaus Fehlentscheidungen getroffen hat. Wir hatten uns damals für eine objektorientierte Datenbank entschieden, die in den Tests sehr gut aussah und eigentlich auch zu unserer Struktur sehr gut passte. Aber nach ungefähr anderthalb Jahren stellte sich raus, dass sie für Betriebsphasen nicht gut geeignet war. Da haben wir dann wieder umgeschwenkt, weil wir in eine Sackgasse gelaufen sind. Also sind wir wieder umgedreht und dann auf einer anderen Schiene weiter.
Ist das bei der Technik ja auch passiert? Ihr musstet ja neue Geräte anschaffen, zum Beispiel die AGV. Kannst du das Konzept vielleicht noch mal kurz erläutern, Martin? Solche AGV gab es damals im Einsatz noch nirgendwo. Richtig?
Martin Schubring: Das ist nicht ganz richtig. Tatsächlich hat Rotterdam auf dem ECT-Terminal bereits Anfang der 90er Jahre, also ungefähr acht Jahre vor uns, mit einem AGV-System angefangen. Die haben dort sehr viel Lehrgeld bezahlt. Wir waren natürlich auch mehrmals dort und haben uns das angesehen. Und aus diesem prototypischen AGV-System ist dann unser System gemeinsam mit unserem Partner Gottwald entstanden. Und tatsächlich sind die damals entstandenen Fahrzeuge mit Ausnahme des Antriebskonzepts - inzwischen fahren die Batterie-betrieben - der Weltstandard. Der wird auch heute sowohl von Gottwald wie seinem Nachfolger als auch versuchsweise von anderen Herstellern in der gleichen Form weltweit vertrieben und inzwischen zu Hunderten gebaut. Vom Fahrzeugkonzept sind die immer noch identisch mit den von uns damals entwickelten Fahrzeugen.
Ja, das Konzept, nach dem die Fahrzeuge sich bewegen, das war doch aber komplett neu. Ich erinnere mich, in Rotterdam fuhren die immer auf einer Schleife, die mussten sich sozusagen anstellen. Und das, was ihr hier entwickelt habt, also wirklich „Automated Vehicles“, die sich auf einer Fläche relativ frei bewegen können, damit waren wir ganz vorne, oder?
Martin Schubring: Ja, richtig. Wir haben gemeinsam mit unserem Lieferanten ein System geschaffen, in dem die AGV im Prinzip frei fahren können. Das heißt, an den Transpondern, die im Boden vergraben sind, an denen können sich diese AGV entlanghangeln. Die sind als Netz über den Terminal gelegt und theoretisch kann man über diese Transponder jede beliebige Route programmieren und die AGV fahren lassen. Praktisch gibt es dann am Ende doch Straßen, aber davon eben sehr, sehr viele und sehr sinnvoll aufgebaut, so dass eine Schlange, dass sie hintereinander anstehen, damit vermieden wird. Das ist sehr flexibel und frei.
Und da kommt, glaube ich auch wieder der Programmierer ins Spiel. Ich habe mal eine ganz utopische Zahl gehört, wie viele Millionen Zeilen Programmcode dafür geschrieben werden mussten. Das war ja auch eine Aufgabe, da musste man etwas ganz Neues erfinden, oder?
Ulrich Spindel: Das musste komplett von Grund auf neu aufgebaut werden, deswegen hatten wir auch mit dieser Architektur Vorstudie begonnen. Es waren insgesamt 1,8 Millionen Codezeilen, die da entstanden sind für das Steuerungssystem. Die Software, die wir dazugekauft haben - das ganze Terminal Operating System besteht ja nicht nur aus dieser Komponente, sondern auch noch aus anderen - das sind noch mal ungefähr 1 Million Codezeilen. Das ist relativ umfangreich geworden, aber was man sagen muss: Es läuft bis heute! Und läuft bis heute sehr produktiv. Altenwerder ist immer noch ein sehr produktiver Terminal, der produktivste der HHLA. Und natürlich wurde es auch weiterentwickelt über die Jahre, das ist klar. Die Grundlagen, die damals gelegt worden sind, haben sich allerdings sehr bewährt.
Was wir uns heute nicht mehr gut vorstellen können, war die Leistungsfähigkeit der Hardware. Wenn man es zum Beispiel vergleicht mit einem heutigen Smartphone - auf welcher Basis habt ihr da gearbeitet?
Ulrich Spindel: Grundsätzlich kann man sagen, alle zwei Jahre ungefähr verdoppelt sich die Leistung von elektronischen Geräten, von Rechentechnik. Das kann man zurück rechnen, also zum Beispiel auch, wenn man das Netzwerk betrachtet. Wir hatten damals eine dreistufige Netzwerkarchitektur, und im Backbone, im Rückgrat sozusagen, war das eine 1 Gigabit-Leitung. Drum herum gab es verschiedene Strahlen von 10 Megabit-Leitungen. Heute hat man eine Leistung im Backbone von 100 Gigabit. Also das ist eine ganz andere Welt geworden.
Apropos andere Welt. Vielleicht schauen wir noch mal kurz zurück, wie das Terminal entstand. Wo habt ihr da dann am Anfang, ich sag jetzt mal "gehaust"? Gab es überhaupt Wohncontainer da oder musstet ihr immer aus der Speicherstadt nach Altenwerder fahren? Wie kann man sich das vorstellen?
Martin Schubring: Also geplant haben wir den Termin in der Speicherstadt. Wir sind auch in der Speicherstadt einmal umgezogen, hatten dann am Schluss der Planung ein Großraumbüro, eigentlich ein ganzes Stockwerk, in dem wir alle zusammensaßen, was sehr effektiv war. Als erste rausgezogen nach Altenwerder sind unsere Bauingenieure, logischerweise, weil die die Grundlage für alles schaffen, was wir dann aufstellen. Relativ zügig gebaut wurde das Werkstatt Gebäude. Dort gab es dann auch Möglichkeiten, noch ein bisschen spartanisch, aber immerhin unterzukommen. Dort ist dann meine Gruppe, also die Umschlagssysteme, wir Kollegen sind dann dort eingezogen und haben von dort aus die Weiterentwicklung des Terminals betrieben und vor Ort betreut. In der Zeit wurden ja die ersten Umschlags Geräte dann angeliefert oder aufgebaut. Das heißt wir mussten vor Ort sein, haben dort alle auf einem Haufen gesessen unter vielleicht nicht ganz großartigen Umständen. Aber wir waren eine eingefleischte Mannschaft und deswegen hat uns das nichts ausgemacht, unter diesen Umständen zusammenzusitzen. Wir waren direkt am Ort des Geschehens. Das war eine sehr effektive und auch schöne Zeit, das muss man mal deutlich sagen.
Ulrich Spindel: Natürlich waren die Leute, die sich um die Hardware gekümmert haben, um die Infrastruktur und um das Netzwerk, die waren logischerweise auch zum guten Teil vor Ort. Die haben dann auch in ähnlichen Räumen, wie Martin das eben erzählt hat, temporär gearbeitet. Die meisten allerdings waren in der Speicherstadt. Auch das war eine Entscheidung, dass die wesentliche Hardware im Rechenzentrum der HHLA stehen soll - was in der Speicherstadt liegt - und nur die notwendigen Rechner vor Ort.
Martin Schubring: Da kann ich vielleicht noch eine Anekdote erzählen. Wir saßen hier in der Speicherstadt und irgendwann wurde dann auch eine CTA GmbH gegründet mit der Adresse Sandtorkai. Und eines schönen Tages klingelt es und da kam ein Lkw-Fahrer und sagte: ich soll einen Trafo anliefern an die Adresse in der Speicherstadt. Wir guckten aus dem Fenster und sahen einen Tieflader mit einem der ganz großen 110 KV Trafos, also größer als ein Tiny House, und der arme Fahrer stand jetzt in der Speicherstadt mit seinem Trafo und wollte ihn anliefern. Wir haben ihm dann die richtige Adresse gegeben und er hat dann versucht, aus dem Freihafen herauszukommen und den Trafo tatsächlich nach Altenwerder zu liefern.
Ulrich Spindel: Stichwort Freihafen, das ist auch noch mal wichtig. Für die IT ist das ein ganz wichtiges Thema gewesen, weil der Burchardkai und der Tollerort, die beiden anderen HHLA-Terminals, liegen in der Freihafenzone, und Altenwerder lag nicht in dieser Zone. Mittlerweile gibt es den Freihafen nicht mehr, aber zum damaligen Zeitpunkt war das sehr relevant. Wir brauchten ein Zoll-System, wovon wir noch keine Ahnung hatten. Wir hatten mit Verzollung eigentlich nichts zu tun, und es war noch ein erheblicher Schritt, um das gesamte IT System aufzubauen.
Zum Thema Kommunikation: Ich glaube um 1999 herum, da gab es noch gar keine Mobiltelefone - oder jedenfalls nicht allzu viele.
Martin Schubring: Sie wurden in dieser Zeit salonfähig. Und ich erinnere mich noch gut an die Diskussion, ob nur die Projektleiter oder etwa noch mehr Menschen mit einem Mobiltelefon ausgestattet werden sollten. Es wurde sich dann entschieden, tatsächlich noch mehr Menschen mit einem Mobiltelefon auszurüsten, um sie auf der Baustelle erreichen zu können. Und dann bekamen wir den guten alten Nokia-Knochen. Der hat dann auch zehn Jahre seinen Dienst getan.
Einer der großen Herausforderungen war die Zeit, die euch da im Nacken saß. Vielleicht könnt ihr einen kurzen Abriss machen, wie lange es gedauert hat von der Planung bis dann tatsächlich das erste Schiff anlegte. Ich glaube, das sind Dimensionen, die man sich heute gar nicht mehr so richtig vorstellen kann. Also die Schnelligkeit, mit der damals alles passierte.
Martin Schubring: Das ist richtig. Die Entscheidung, dass die HHLA in Altenwerder bauen darf, fiel Ende 1997. Das Planungsteam wurde dann im ersten Halbjahr 1998 gegründet und fing gleich an zu planen. Mitte 1999 fiel die Entscheidung für das Umschlagssystem, das tatsächlich realisiert wurde. Parallel dazu haben wir schon angefangen, IT, Bau und Umschlagsgeräte auszuschreiben. Im Jahre 2000 kamen dann die Umschlagsgeräte an, wurden mit der IT zusammengekoppelt oder miteinander verkoppelt. Die Inbetriebnahme-Phase des Terminals war im Jahre 2001 und im März 2002 haben wir den kommerziellen Betrieb aufgenommen. Es hat also drei Jahre und ein bisschen gedauert von dem Start bis zur ersten kommerziellen Schiffsabfertigung.
Wow! Das würde man heute nicht mehr so hinkriegen. Was waren denn die wesentlichen Faktoren, die euch dabei unterstützt haben?
Martin Schubring: Also wir hatten damals mit dem für uns zuständigen Vorstand Dr. Behn und dem Gesamtprojektleiter Dr. Koch zwei sehr mitreißende Menschen. Diesen im Hintergrund arbeitenden Menschen ist es gelungen, die Politik und vor allem auch die genehmigenden Behörden so mitzureißen, dass viele von diesen beteiligten Behördenmitarbeiter oder Berufsgenossenschaft-Mitarbeitern heute noch sagen: Das ist ein Stück weit mein Terminal! Das heißt, es ist gelungen, die genehmigenden Menschen mit in das Team zu integrieren. Und das war eine ganz große Leistung, das hat uns so vorangebracht. Die haben nicht stur nach Gesetz und Regeln agiert, sondern mitgedacht und die Regeln entsprechend ausgelegt. Zumal es viele Regeln für so ein Automatiksystem ja noch gar nicht gab. Das heißt, da haben sie tatsächlich einfach mitgedacht und mitgearbeitet, natürlich immer im Rahmen ihrer Vorschriften und vor allem Gesetze. Das war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit, sodass wir in diesem Bereich eigentlich keinerlei Hindernisse zu überwinden hatten. Man muss dazu sagen: Bis heute hat es in Altenwerder keinen einzigen tödlichen oder richtig schweren Unfall gegeben.
Ulrich Spindel: Und wir waren voll fokussiert. Es gab dieses Projekt, was über drei, vier Jahre lief, und die Projektmitarbeiter wurden nicht "gestört" durch andere Projekte, durch andere betriebliche Einflüsse. Das hat auch sehr stark dazu beigetragen, dass dann in sehr kurzer Zeit ein tragfähiges System aufgebaut werden konnte.
Gab es denn Herausforderungen mit den Zulieferern, die ihr ja teilweise noch gar nicht kanntet? Also neue Technik zum Beispiel aus Schweden oder die große chinesische Firma ZPMC, die Containerbrücken baut, die machte damals ja erst ihre ersten Schritte in Europa.
Martin Schubring: Ja, das ist richtig. Die hatten allerdings ein sehr starkes Interesse, in Europa Fuß zu fassen, und haben auch aus diesem Grunde sehr gut mit uns zusammengearbeitet. Und unsere europäischen Partner aus Deutschland, Österreich oder Schweden sowieso. Ich glaube, die sind alle auf ihre Kosten gekommen und wir haben gemeinschaftlich einen sehr guten Terminal aufgestellt. Das große Risiko war, dass eine der großen Hauptkomponenten wie die Containerbrücken, das Lagersystem oder IT-System deutlich später kommt als der Rest. Dann hätten wir für den Rest die Abschreibung zahlen müssen und hätten noch keinen Terminalbetrieb aufnehmen können. Es ist uns gelungen, zwar insgesamt ungefähr vier Monate später fertig zu werden als geplant - oder gewünscht - aber wenigstens wurde alles gleichzeitig fertig.
Also wenn ihr den Zeitplan nicht geschafft hättet, dann hätte da schon eine Menge Technik rum gestanden, wären schon Investitionen in die Software geflossen und so weiter. Und dann hätte es möglicherweise mit der Finanzierung auch nicht mehr so gut ausgesehen?
Martin Schubring: Die Anlaufkosten waren schon sehr hoch, das muss man deutlich sagen. Und die wären natürlich erheblich höher geworden, wenn wir nicht angefangen hätten, den kommerziellen Betrieb zu starten.
Ulrich Spindel: Und der Betrieb wurde aufgenommen in einer Zeit, wo der CTA genau richtig in den Markt kam. Das war der Beginn des sehr starken Containerwachstums, jährlich zweistellig. Altenwerder hat genau reingepasst in diese Situation und konnte dann die Mengen sozusagen abfischen.
Habt ihr eigentlich damals, 1999, auch ein bisschen Widerstand gespürt hier in der Stadt? Oder haben alle gesagt: Ja, super, dass wir anfangen, den Hafen zu vergrößern. Das kann Hamburg nur nützen.
Martin Schubring: Also wir haben keinen Widerstand gespürt. Wie das mit dem Vorstand ist, weiß ich nicht genau. Aber da unser Draht zum Vorstand damals sehr kurz war zum Projektteam, hätten wir das mitbekommen. Also ich glaube, der Widerstand in Hamburg war sehr gering. Dass das Dorf Altenwerder abgerissen wurde, das geschah ja bereits rund 30 Jahre vorher im Zuge der Planungen, dort einen Ölhafen zu errichten, zu dem es dann nie gekommen ist.
Und dann kam die erste Containerbrücke an. Martin, an den Moment kannst du dich auch noch erinnern?
Martin Schubring: Ja, die Containerbrücken wurden in Shanghai gebaut und mit einem Schiff fast komplett fertig geliefert. Sie konnten nicht ganz fertig sein, weil sie unter der Köhlbrandtbrücke durchfahren mussten. Und als die beiden ersten Containerbrücken auf dem Transportschiff ankamen, gab es zufällig ein großes Gewitter. Das heißt, die Ankunft der ersten CTA Containerbrücken war sehr dramatisch, mit Blitz und Donner. Mein für die Containerbrücken zuständiger Kollege Antonio Schmitt und ich haben es uns gegönnt, die erste Entladung komplett zu begleiten. Die ging auch über Nacht und wie das so ist: irgendwann wird man müde. So saßen wir auf einem Holzstapel und guckten den Chinesen zu. Plötzlich kam der Kapitän des Schiffes und hatte sechs Flaschen Tsingtao-Bier aus seinem Zollvorrat in der Hand, setzte sich zu uns, und dann haben wir zu dritt erst mal ganz gemütlich drei Bier getrunken. Wahrscheinlich darf ich das gar nicht sagen bei der HHLA, aber das war ja damals noch gar nicht HHLA.
Sehr schöne Geschichte! Es gibt auch noch andere schöne Geschichten, die ihr mir vorab erzählt hat. Es ging nicht um Bier, sondern um Kaffee. Was war mit der Kaffeemaschine?
Martin Schubring: Ja, als das Betriebsgebäude fertig war und der Leitstand anfing, die Steuerung bei der Inbetriebnahme zu übernehmen, da lag hinter dem Leitstand natürlich eine Pantry mit einer Kaffeemaschine. Und durch einen Planungsfehler war diese Kaffeemaschine am selben Stromkreis angeschlossen wie das Überwachungspanel der Automatikanlage. Und was Kaffeemaschinen manchmal so machen: rums, und sie brannte durch. Woraufhin der ganze Terminal stand, weil natürlich auch das Panel stromlos war. Also hat die Kaffeemaschine den gesamten Terminal lahmgelegt.
Das ist immer ein sehr beliebtes Thema. Pleiten, Pech und Pannen…
Martin Schubring: Ja, mir fällt noch eine weitere kuriose Geschichte ein. Die AGV, wie ich vorhin schon erwähnte, die navigieren an im Boden vergrabenen Transponder entlang. Die Transponder werden in den Boden gesetzt, indem man ein Loch in den Asphalt bohrt, den Transponder hineinsteckt und dann wird das Loch mit einer Spezialvergussmasse abgedichtet. Die kann aber nur eingebaut werden, wenn es nicht nass ist. Wir hatten eine kleine Baustelle, da waren ungefähr noch 150 Transponder zu setzen. Es wurden Löcher gebohrt, die Transponder reingesteckt und es goss in Strömen. Also wurde die Vergussmaschine nicht draufgesetzt. Am Tag drauf blieben AGV stehen, ohne dass wir den Grund dafür wussten. Der Grund war ganz einfach: Krähen hatten die gerade gesetzten Transponder aus den noch nicht vergossenen Löchern wieder rausgezogen und über der Hochfläche abgeworfen. Und die Transponder haben das teilweise überlebt, sodass jetzt AGV eine Strecke entlangfuhren, an der sie den Transponder 17, den Transponder 18, den Transponder 19 und plötzlich den Transponder 245 sahen - was nicht sein kann. Also blieben sie stehen. Wir haben ungefähr zwei Tage gebraucht, um die Ursache zu finden. Dann entdeckte einer diese Transponder.
Ja, auch eine schöne Geschichte. Aber dann wurde irgendwann eröffnet. Und dann kam jeder Trucker, der beauftragt wurde, einen Container abzuholen, der kam dann zum CTA. Die haben wahrscheinlich ein bisschen gestaunt. Dieses System gab es in Hamburg ja noch gar nicht.
Ulrich Spindel: Ja, das wurde natürlich auch schon vorher geprobt. Zum Beispiel für die Vermessung oder für die Bemessung der Lkw-Spuren. An den an den Lagerblöcken war das sehr wichtig, dass ein Lkw dort rückwärts reinfahren kann. Das ist auch nicht einfach, insbesondere deshalb, weil es auch Trucks gab mit Anhänger, das heißt mit insgesamt 60 Fuß.
Martin Schubring: Die haben gestaunt, gerade über die Tatsache, die Ulrich eben nannte, dass sie rückwärts einparken müssen. Aber für uns wiederum erstaunlicherweise haben sich viele gefreut. Endlich mal was zu tun, endlich mal Lkw fahren, nicht einfach nur auf der Autobahn, sondern mal rangieren. Also insgesamt ging das völlig geräuschlos über die Bühne.
Der Containerbahnhof in Altenwerder ist heute der größte seiner Art in Europa. Wie klein seid ihr damals im Hinterland mit dem Bahnhof angefangen?
Martin Schubring: Wir haben gar nicht so klein angefangen. Wir haben von vornherein einen Bahnhof gebaut mit der sogenannten Ganzzuglänge von 700 Metern und mit sechs Gleisen. In der Zwischenzeit, vor etwa acht Jahren, haben wir den Bahnhof nochmal um drei Gleise erweitert. Wir haben die Gleise verdichtet, also enger zusammengelegt und inzwischen sind neun Gleise da. Weil glücklicherweise der Bahntransport immer stärker geworden ist, was ein ganz großes Pfund für Hamburg ist. Inzwischen ist CTA der umschlagstärkste Bahnterminal in ganz Europa.
Eigentlich hat ja alles überraschend gut funktioniert und viele der Komponenten arbeiten bis heute, natürlich mit den entsprechenden Aktualisierungen. Habt ihr dann, als es losging mit der feierlichen ersten Abfertigung eines Schiffes, habt ihr euch selbst mal angeguckt und euch gewundert, wie toll das alles gelungen ist?
Ulrich Spindel: Das ist natürlich die größte Bestätigung gewesen unserer Arbeit, dass das Terminal dann in recht kurzer Zeit zu einer so produktiven Anlage geworden ist. Natürlich auch noch mit diversen Stolpersteinen und Fallen in der ersten Zeit des Betriebes. Wir hatten ja zum Beispiel auch das Gesamtsystem zum Testen erst Ende März 2002 zur Verfügung. Bis zur Inbetriebnahme im Juni war das dann nur ungefähr ein Vierteljahr, in dem wir das Gesamtsystem testen konnten. Auch eine recht kurze Zeit! Seitdem ist der CTA aber eine Erfolgsgeschichte.
Da kann man auch mal stolz sein, oder?
Martin Schubring: Stolz war das Team mit Sicherheit, und das kann es auch sein. Verwundert? Ehrlich gesagt nicht, denn wir haben ja anderthalb Jahre auf diesen Terminen gelebt und jeden Tag intensiv getestet und in Betrieb genommen. Wir wussten, dass das funktioniert.
Welches Teilprojekt, welche Inbetriebnahme war die schwierigste? Gab es vielleicht Geräte, die noch nicht ganz so wollten, wie ihr euch das vorgestellt hattet?
Martin Schubring: Das kann ich heute eigentlich gar nicht sagen. Es hat natürlich jedes System aufgrund seiner Neuheit am Anfang seine Tücken gehabt, aber richtig problematisch war aus heutiger Sicht eigentlich dann doch kein Umschlagsgerät. Sie hatten, wie Ulrich eben sagte, ihre Tücken und ihre Ecken und Kanten, aber die wurden eben Stück für Stück mit unseren sehr guten und sehr willigen Partnern auf der Lieferantenseite abgebaut. Die hatten auch alle den Ehrgeiz, es nicht nur fast richtig zu machen, sondern ganz richtig. Das ist, glaube ich, auch unsere ganz große Stärke gewesen: dass wir bis nah an die 100 Prozent heran durchgezogen haben, alle zusammen.
Ulrich Spindel: Eine gewisse Skepsis gab es sicherlich durchaus bei der Frage: „Ist das System am Ende auch so, wie es sein soll?“ Tut es das, was es soll? Ist es performant genug, ist es leistungsfähig genug? Wir sind in der IT ja in neue Bereiche vorgestoßen, wo wir wenig Erfahrung hatten. Insofern war das schon riskant. Genau wie bei anderen Entscheidungen, die Neuland betreffen, hätte auch noch mehr schiefgehen können, als sowieso schon schiefgegangen ist. Für die IT war die größte Herausforderung das Gesamtsystem, das heißt das Zusammenspiel, insbesondere die Übergaben von einem Automatiksystem zum anderen, also vom Lagerkransystem beispielsweise zum AGV-System. Das kann man sich leicht vorstellen, wenn da kein Mensch involviert ist, wie genau das stimmen muss. Zum richtigen Zeitpunkt muss der Kran an der richtigen Stelle sein und auch das richtige AGV an der richtigen Stelle sein. Wenn das AGV da nicht ist, dann setzt der Kran den Container auf den Boden ab. Also diese Synchronisierung der Geräte und das Zusammenspiel in einem Gesamtsystem, das dann auch noch möglichst optimal natürlich laufen soll, das war für die IT die größte Herausforderung.
Und dann kam das erste Testschiff. Könnt ihr euch noch erinnern, wie der Test verlief?
Martin Schubring: Oh ja, da können wir uns sehr gut dran erinnern. Das war ein sogenannter 24-Stunden-Test, in dem die gesamte Anlage an einem Test Schiffscontainer löschen und laden sollte. Und wir haben einen Wert von 48 Boxen geschafft. Das klingt heute ganz groß, wäre nahe am Weltrekord. Allerdings sind die 48 Boxen nicht pro Stunde geschafft worden, sondern pro 24 Stunden. Wir haben irgendwie angefangen, und es lief erstmal gar nichts beim ersten Testschiff. Dann wurden sieben oder acht Container bewegt, dann gab es irgendwo ein größeres Problem und wir hatten stundenlang Pause. Ich erinnere mich noch gut an die Nacht dieses 24-Stunden-Tests. Wenn man dort in sein Büro ging, war es dunkel im Büro. Man musste sehr gut aufpassen, dass man nicht ständig gegen Füße von Kollegen stieß, die mal eine Stunde auf dem Schreibtisch gelegen und ein Nickerchen gemacht haben.
Ulrich Spindel: Und von diesen 24-Stunden-Tests hatten wir von April bis Juni insgesamt sechs Stück. Der letzte kurz - ich glaube zwei Tage - vor der ersten kommerziellen Abfertigung.
Dann konntet ihr sozusagen pünktlich feiern. Da kann ich mich noch an Fotos mit bunten Lichtspielen erinnern. Wart ihr da auch dabei?
Martin Schubring: Selbstverständlich. Und der Clou war, dass wir mit der Cap San Diego dahin gefahren sind. Dann kamen Illumination, Feuerwerk und einige Testcontainer, große Spruchbänder und natürlich eine große Feier an Bord.
Haben die IT Leute auch vor Ort gefeiert, waren die auch dabei?
Ulrich Spindel: Natürlich haben wir auch gefeiert. Es waren sicherlich nicht alle direkt vor Ort dabei, aber in ein bisschen Entfernung haben wir auch gefeiert.
Ja, das hat der HLA geholfen, eine wirklich rasant steigende Containermenge zu bewältigen. Vor 20 Jahren war das, als der CTA eröffnet wurde, und viele der Geräte fahren immer noch. Wir haben gehört, die IT hat sich bewährt. Wie machen wir denn jetzt weiter? Müssen die Geräte irgendwann ersetzt werden? Gibt es da vielleicht mittlerweile bessere Software, die eingespielt werden muss? Oder muss man sagen, das ganze System ist grundsolide und wir machen so weiter?
Martin Schubring: Also beides. Das ganze System ist grundsolide und wir machen so weiter. Aufgrund des Verschleißes, der ganz normal und üblich ist, müssen wir jetzt beginnen, die Umschlagsgeräte zu ersetzen. In der AGV-Flotte haben wir dies bereits getan, der Ersatz ist fast vollständig abgeschlossen. Das haben wir aus zwei Gründen getan. Erstens wegen des Verschleißes der Geräte. Zweitens sind wir dort einen Schritt weitergegangen und haben den Dieselmotor ersetzt. Das heißt, alle jetzigen AGV fahren vollelektrisch, durch Batterie angetrieben. Die nächsten Geräte, die wir ersetzen müssen, sind die Bahnkräne und vor allem die Containerbrücken. Durch die hohe Auslastung auf dem CTA in 20 Jahren - was sehr für das System spricht! - ist der Stahlbau der Containerbrücken an das Ende seiner Lebenszeit gekommen. Stahlbau verschleißt und deswegen beginnen wir jetzt die Container Brücken zu ersetzen. Das wird so in den nächsten 6 bis 8 Jahren passieren, dass wir dort neue und auch größere, modernere Containerbrücken hinstellen.
Der HHLA Container Terminal Altenwerder (CTA) ist hoch-automatisiert und zertifiziert klimaneutral. Speziell entwickelte Arbeitsabläufe machen den Containerumschlag besonders effizient. Lernen Sie mehr darüber, wie die einzelnen Prozesse ineinandergreifen.
Ulrich Spindel: In der IT ist es so, dass wir im Laufe der 20 Jahre sukzessive immer erneuert haben. Was sich sehr bewährt hat und in den Grundzügen auch noch so läuft bzw. in den nächsten Jahren weiterlaufen wird, das sind die Steuerungssysteme. Die hatten wir komplett neu entwickelt, genau auf die Bedürfnisse von Altenwerder zugeschnitten. So hat man jetzt einen Mix, eine Kombination von Systemen, die von den Grundzügen her weiterlaufen und neuen, die dazugekommen sind.
Das war ein äußerst interessantes Gespräch! Vielen Dank, auch dafür, dass ihr das damals mit aufgebaut habt und für viele durchwachte Nächte.
Ulrich Spindel: Und wir danken für die Gelegenheit, das noch mal Revue passieren zu lassen.
Das war's für heute, liebe Zuhörende.
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Aktualisiert am 24.05.2022.