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Auf dem Bahnhof des HHLA Container Terminal Altenwerder (CTA) reicht das Portal des Bahnkran 04 über alle neun voll belegten Gleise hinweg. Die 500 Tonnen schwere Technik schiebt sich an die richtige Position über einen darunter stehenden, noch halb leeren Zug. Unter der drehbaren Katze hängt eine tonnenschwere Stahlbox, die exakt auf einen Containertragwagen abgesetzt werden muss. Die sogenannten Cornercastings an den Ecken des Containers müssen dabei in die vier passenden Pins des Bahnwaggons einrasten.
Es rummst, dann setzt der Container perfekt auf. Daran wäre nichts Ungewöhnliches, säße in der Kanzel des schweren Geräts ein Mitarbeiter. Doch hier handelt es sich um eine weitere Etappe der Automatisierung auf dem Hamburger Hafenterminal CTA. Es wies schon bei seiner Inbetriebnahme im Juni 2002 den weltweit höchsten Automatisierungsgrad auf. Mit dem Bahnkran-Projekt wird die Entwicklung wieder ein Stück vorangetrieben. Unterstützt durch das Bundesprogramm Innovative Hafentechnologien (IHATEC) wollen die Entwickler am CTA Lösungen dafür finden, wie Mensch und Maschine in einem automatisierten Betrieb optimal interagieren.
Damit die Anlage Menschen und Fahrzeuge erkennt, wurde sie mit 30 Echtzeitscannern ausgerüstet, die bis zu 26 Millionen Punkte pro Sekunde erfassen können. Diese fertigen 3-D-Scans von der relevanten Umgebung an, die eine Software ständig mit dem Sollzustand abgleicht. Erkennt sie unbekannte Objekte, stoppt sie den Kran. Bald sollen Fernsteuerer, die im CTA-Bürogebäude sitzen, mehrere Bahnkräne überwachen und steuern. An dem Projekt ist auch die iSAM AG beteiligt, ein weltweit gefragter Spezialist für Automatisierungstechnik und seit 2020 Teil der HHLA-Gruppe.
„Kooperationen wie mit dem CTA waren unser strategisches Ziel, als wir uns für ein Zusammengehen mit der HHLA entschieden haben“, erläutert Bernd Mann, Vorstandsvorsitzender der iSAM AG. Der Schwerpunkt von iSAM lag bisher auf der Ausrüstung von Minen im Bergbau und Terminals für Massengut. Im Hamburger Hafen ist Hansaport, der größte deutsche Erz- und Kohlehafen, eines der Vorzeigeprojekte des in Mülheim an der Ruhr ansässigen Unternehmens. Nach den Massengütern steht nun der Container im Fokus der iSAM-Spezialisten.
Bernd Mann, Vorstandsvorsitzender der iSAM AG
Durch ihre Größe seien Seehäfen besser für Skalierung technischer Lösungen geeignet als die kleineren Binnenterminals für Bahn und Binnenschiff, so Mann. Die Automatisierung lohne sich nur bei größeren Anlagen, denn der Aufwand sei hoch. „Es gibt nur wenige technische Grenzen für unsere Lösungen, aber durchaus einige ökonomische“, sagt der iSAM-Chef.
Häfen sind beim weltweiten Megatrend Automatisierung keine Nachzügler, wie das Beispiel CTA zeigt. Allerdings wurde in anderen Logistikfeldern dieser Trend schon weiter entwickelt, beispielsweise in der Intralogistik. Riesige Hochregallager mit standardisierten Prozessen lassen sich einfacher automatisieren. Selbst Inventuren erledigen dort bereits autonom fliegende Drohnen über Nacht.
Der Branchenriese Amazon hat für die Entwicklung von Robotik-Technologien eine eigene Sparte Global Robotics. Daher stammt der erste vollautonome Lagerroboter „Proteus“. Er kann Dinge aufheben und abstellen, fährt autonom und muss nicht mehr in einem abgegrenzten Bereich eingesetzt werden.
Die Motivation, die hinter solchen weitreichenden Automatisierungen steckt, kennt kaum jemand so gut wie Bernd Mann. Schon im Studium lag sein Schwerpunkt auf Automatisierungstechnik. Bei iSAM fing er 1993 an, ist seit 2002 Mitglied des Vorstands, verantwortlich für Entwicklung und Technologie, und übernahm 2020 den Vorsitz des Vorstands. Er kennt viele Gründe für die fortschreitende Automatisierung. Zum Beispiel sei die Belastung für die Technik sanfter, als wenn ein Mensch diese bedient. Dadurch halten die meist sehr teuren Geräte länger, ihre Leistung ist kontinuierlich abrufbar und planbarer sowie besser in komplexe Logistikprozesse einzubetten.
Häufiger nennen Manns Kunden jedoch einen anderen Grund, um Prozesse und Abläufe zu automatisieren. Es ist der überall spürbare Mangel an Fachkräften. Den kennt man nicht nur in Europa, sondern auch in Australien, wo viele Minenbetriebe „remote operation centers“ eingerichtet haben. Es ergeben sich ganz neue Perspektiven, wenn etwa Arbeitskräfte für unbeliebte Gegenden gesucht werden. Die oft sehr abgelegenen Minenbetriebe können zu großen Teilen aus der Entfernung gesteuert werden.
Ein Meisterstück der Automatisierung im Hamburger Hafen: Der Massengut-Terminal Hansaport
„Sie beschäftigen Hunderte von Arbeitskräften, die nicht mehr pendeln müssen. Das hat für ihre Familien und die Umwelt viele Vorteile“, sagt der iSAM-Chef. Als positiver Nebeneffekt verbessern sich auch die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte. „Gerade junge Kollegen arbeiten lieber im klimatisierten Fernsteuerstand“, so der iSAM-Chef. Der PC-Arbeitsplatz mit der geselligen Kaffeeküche nebenan sei beliebter, als bei jedem Wetter auf einen Kran zu klettern und dort die Schicht allein zu verbringen.
Roboter gegen Arbeitskräftemangel In Ländern mit hohen Löhnen sind solche Arbeitsplätze langfristig sicherer, weil sie produktiver und damit wettbewerbsfähiger sind. Der iSAM-Chef räumt ein, dass infolge der Automatisierung in manchen Bereichen weniger Personal gebraucht wird. Doch selbst in der Intralogistik, wo die Prozesse schon sehr weitgehend durch Roboter erledigt werden, gibt es keinen Jobabbau. Stattdessen wuchs die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zwischen 2012 und Ende 2020 um 26,6 Prozent auf 972.000.
Einfache Lager- und Transportmitarbeiter werden momentan genauso händeringend gesucht wie fast alle Logistikspezialisten. Es tun sich sogar neue Chancen für die Beschäftigten auf, so Mann. „Im Hafen sehnt sich niemand mehr danach, schwere Säcke schleppen zu müssen. Auch auf automatisierten Terminals wird es künftig noch genug Arbeit geben, allerdings eher in Bereichen wie Steuerung, Disposition oder Wartung.“ Für diesen Transformationsprozess wird die HHLA besonders in Qualifizierung und Weiterbildung investieren.
Bleibt die Frage, welche Grenzen die Automatisierung hat. Mann gibt darauf eine beruhigende Antwort: „Computer können keine Probleme lösen. Menschen sind in ungewöhnlichen Situationen effizienter. Sie können mit ihrer Erfahrung Transferleistungen bringen, also Entscheidungen treffen, die außerhalb programmierbarer Routinen liegen.“ Computer wären nicht in der Lage, kreative „Umwege“ zu finden oder sich zwischen zwei schlechten Lösungen zu entscheiden, so die Analyse des iSAM-Chefs. Menschen suchten in solchen Fällen Kompromisse, um etwa die Entladung eines Schiffes pünktlich zu beenden. Manchmal müssen eben 50 Boxen stehen bleiben oder mit dem Lkw zum nächsten Hafen gefahren werden.
Der Mensch bleibt also unverzichtbar, nicht nur für die Bewältigung von Krisen und Ausnahmesituationen, sondern vor allem für Neuschöpfungen und kreative Verbesserungen, für Planung und Priorisierung. Und der immer intelligentere Einsatz von Maschinen kann bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft helfen. Auf dem CTA im Hamburger Hafen steht daher schon die nächste Herausforderung an: Auch die Containerbrücken sollen Stück für Stück automatisiert werden.
Aktualisiert am 24.04.2023.