Macht KI Häfen intelligenter?

Was kann Künstliche Intelligenz (KI) leisten, insbesondere in der maritimen Wirtschaft? Nils Kemme, Geschäftsführer von HPC, weiß mehr über die möglichen Auswirkungen. 

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Bei welchen operativen, planerischen oder auch administrativen Aufgaben kann KI sinnvoll eingesetzt werden? Welche Auswirkungen hat das auf alte und neue Berufsbilder im Hafenumfeld? Werden Schiffe in Zukunft autonom fahren? Nils Kemme, einer der Geschäftsführer der HHLA-Beratungstocher HPC, hat sich schon vielfach mit solchen Fragen beschäftigt. Hören Sie seine Antworten im HHLA Talk.

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Künstliche Intelligenz in der Logistik

Was heißt das, wie nutzt sie die HHLA und was sind ihre Vor- und Nachteile?

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Im HHLA Talk unseres Magazins geht es heute um künstliche Intelligenz im Hafen. Künstliche Intelligenz oder kurz KI ist für viele noch ein geheimnisvoller Technologiebereich. Zum Klischee gehören Roboter mit übermenschlichen Fähigkeiten aus Science-Fiction-Filmen. In der Realität sind der Einsatz und die Möglichkeiten von KI viel weniger spektakulär. Trotzdem bewirkt künstliche Intelligenz eine Umwälzung vieler Arbeitsbereiche, auch in der Logistik und im Hafen. Und wenn es jemanden gibt, der sich mit künstlicher Intelligenz im Hafen Umschlag auskennt, dann ist es Dr. Nils Kemme. Er entwirft und optimiert Containerterminals in aller Welt und dabei, aber längst nicht nur dabei, spielt künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. Doch bevor wir dazu kommen, stellen Sie sich doch bitte selbst vor.
Sehr gerne. Mein Name ist Nils Kemme. Ich habe ursprünglich einmal Betriebswirtschaftslehre studiert und mein Diplom gemacht, wobei ich mich auf Operations Research spezialisiert habe. Eine Wissenschaft an der Schnittstelle zwischen Informatik, Mathematik und Wirtschaftswissenschaften. Auf dieser Basis hatte ich nach meinem Studium das Glück, meine Karriere im Hafen zu starten und meine Diplomarbeit am HHLA Container Terminal Altenwerder zu schreiben über die Optimierung der AGV-Flotte dort. Anschließend bin ich zum Terminal Tollerort  und dann zu HPC, der Beratungstochter der HHLA. Nach zwei Jahren bei der HHLA und HPC bin ich nochmal an die Universität Hamburg um dort zu promovieren und mich nochmal weiter zu spezialisieren im Bereich Operations Research. Also quasi in einem wichtigen Anwendungsgebiet für künstliche Intelligenz. Dort habe ich dann promoviert zum Thema der Optimierung und Planung von Containerterminals und seit rund neun Jahren bin ich jetzt wieder bei der Beratungstochter der HHLA, bei der HPC.

Herr Dr. Kemme, wenn wir jetzt mal nicht an die superintelligenten sprechenden Roboter aus den Hollywood-Filmen denken, dann gibt es je nach Einsatzbereich bestimmt dutzende Definitionen von künstlicher Intelligenz. Wie würden Sie denn KI möglichst allgemein definieren?
Eine allgemeine Definition ist tatsächlich sehr schwierig, weil schon der Begriff Intelligenz schwierig zu definieren ist. Für uns als Menschen mag es sehr einfach sein, eine Treppe hoch zu steigen. Für eine Maschine ist das allerdings ein sehr komplexer Akt, mit den ganzen komplizierten Bewegungen. Einfach kann man aber sagen, dass es im Prinzip darum geht, bei der KI Entscheidungsstrukturen des Menschen nachzubilden.

Kann man diesen Begriff KI sauber abgrenzen von dem Fachwort Machine Learning, also von einem lernfähigen Computerprogramm, das maschinelle Arbeitsabläufe steuert? Denn dieser Fachbegriff schwirrt ja in Diskussionen auch häufig herum.
Die künstliche Intelligenz wird noch konkreter eingegrenzt durch zwei Begriffe: autonom und anpassungsfähig. Wenn eine Maschine autonom und anpassungsfähig ist, dann dank künstlicher Intelligenz. Anpassungsfähig heißt im Prinzip, dass man auf sich verändernde Rahmenbedingungen selbstständig reagieren kann. Wenn man beispielsweise auf das Anwendungsgebiet der Bilderkennung schaut, ist es dort wichtig, dass die Maschine auf sich verändernde Rahmenbedingungen wie beispielsweise Wetterbedingungen oder Hintergründe reagieren kann. Dann kann sie das Bild richtig erkennen, wie beispielsweise ein "Zone 30"-Schild. Und genau hier kommt maschinelles Lernen zum Einsatz. Maschinelles Lernen ist ein anpassungsfähige System und insofern ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz insgesamt.

Bevor wir zum speziellen Einsatzbereich Hafen kommen: können Sie uns ein paar Anwendungen von künstlicher Intelligenz anderswo in der Wirtschaft nennen? Also auch, wenn sie vielleicht so versteckt oder bereits alltäglich ablaufen, dass wir sie im Alltag gar nicht groß wahrnehmen.
Die wohl bekanntesten Anwendungen aus meiner Sicht, zumindest für alle Menschen mit Mobiltelefonen, sind die Sprachassistenten wie Siri oder Alexa. Dort kommt auf jeden Fall künstliche Intelligenz zum Einsatz, um die Sprachmuster zu erkennen. Weitere Anwendungsgebiete sind Autopiloten in autonomen Fahrzeugen oder auch personalisierte Werbung, also wenn Sie sich wieder darüber wundern, wieso der Computer Ihnen so maßgeschneiderte Werbung im Internet präsentiert.

Nun verbindet man als Laie KI vielleicht weniger mit dem Stichwort Hafen als mit anderen Wirtschaftsbereichen. Man denkt: Containerumschlag? Das hat mit schweren Kisten und schwerem Gerät zu tun. Was nützt da eine intelligente Software-Lösung?
Auf einem Containerterminal gibt es natürlich tausende Container, viele Fahrzeuge, viele Containerbrücken, Lagerkräne - alles Objekte, die es zu planen gilt. Welches Gerät übernimmt welche Aufgabe, welcher Container steht wo im Lager? Das sind alles Planungsaufgaben, die künstliche Intelligenz übernehmen kann. Genauso kann man sie einsetzen, um die Datenqualität für die Planungsentscheidungen zu verbessern, beispielsweise wie lange ein Container im Lager verweilt. Ein anderes Anwendungsgebiet ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung. Mithilfe von künstlicher Intelligenz kann man vorhersagen, wann ein Gerät wahrscheinlich defekt gehen würde und insofern die Wartungszyklen, also die Reparaturarbeiten, vorbeugend durchführen. So wird das Gerät quasi just in time gewartet, bevor es defekt gehen würde. Auf dem Container Terminal Burchardkai testen wir Predictive Maintenance, um die Restlebensdauer von Seilen an den Containerbrücken vorherzusagen. An den Seilen werden die Container gewissermaßen aus dem Schiff herausgehoben. Indem wir vorhersagen, wie lange diese Seile noch halten, bevor sie reißen würden oder defekt gehen, können wir zwei Dinge erreichen. Zum einen können wir den Austausch der Seile in Zeiten legen, wenn die Containerbrücke gerade nicht benötigt wird. Somit haben wir keine Nachteile in der Abfertigung der Schiffe und das kann im Prinzip reibungsloser verlaufen. Ein anderer Vorteil ist, dass wir eigentlich noch intakte Seile nicht austauschen werden, sondern sie noch weiter nutzen und ihre Nutzungsdauer verlängern. Wenn sich eine Schiffsabfertigung verzögert, dann hat das ja große Folgekosten für die HHLA. Und wenn wir die Lebensdauer oder die Nutzungsdauer eines Seiles verlängern können und die Wartung hinaus zögern können, dann sparen wir den Einsatz von Ersatzteilen, was unmittelbare Kosteneinsparungen mit sich bringt.

Der modernste Containerterminal der HHLA, der CTA in Altenwerder ist ein weiterer Einsatzort für künstliche Intelligenz. Da handelt es sich sozusagen um eine erweiterte Kompetenz der KI. Nicht nur Vorhersagen, wie in dem Beispiel eben, sondern eigenständige Entscheidungen durch die Software. Was geht da vor sich?
Am CTA kommen Algorithmen zum Einsatz, konkret: regelbasierte Algorithmen. Die führen im Prinzip sämtliche Entscheidungen rund um die automatischen Geräte durch. Beispielsweise: Welcher Container steht auf welchem Stellplatz, welches automatische Transportfahrzeug transportiert welchen Container von A nach B, welche Route wird genommen? All diese Entscheidungen werden dort durch Algorithmen durchgeführt. Diese Algorithmen sind im weiteren Sinne auch als künstliche Intelligenz zu bezeichnen.

Hat das eigentlich auch juristische Dimensionen? Wenn eine KI eigenständig entscheiden darf und dadurch Umsetzungen in der realen Welt bewirkt, könnte sie zum Beispiel haftbar gemacht werden, wenn die Entscheidungen sich als falsch herausstellt und einen Schaden verursacht?
ie KI selbst wird ohnehin nicht haftbar sein. Letztlich wäre es der Mensch, der dahinter steckt. Konkret muss man sagen, dass nur für KI keine zusätzlichen Rechtsvorschriften erforderlich sind. Denn das geltende Recht hat auch heute schon flächendeckende Haftungsvorschriften für Schäden, die beim Einsatz technischer Geräte oder Software entstehen. Letztlich haften das Unternehmen und die Führungskräfte, die dahinter stehen.

HPC berät ja als HHLA-Tochter Häfen und Logistikunternehmen weltweit. Geht es da auch schon vielerorts um Einsatz von KI?
Absolut. Die Bedeutung von KI nimmt im internationalen Hafenumfeld deutlich zu. In den letzten Jahren wurden viele Anwendungsfelder identifiziert, wie eingangs genannt, die auch durch andere große Terminalbetreiber entweder schon zum Einsatz gebracht werden oder in der Erprobung sind. Das gilt beispielsweise für große globale Terminalbetreiber wie APMT in den Niederlanden oder DP World aus Dubai. Auch diese Betreiber schauen sich ganz ähnliche Anwendungsfelder wie die HHLA an. Was häufig im Vordergrund steht, ist Predictive Maintenance. Nicht nur beschränkt auf die Kranseile, sondern auch auf das Gerät insgesamt. Genauso die Verbesserung der Datenqualität, beispielsweise wieder für die Verweildauer der Container im Lager. Und einige Terminalbetreiber schauen sich auch schon Anwendungsfälle für die Durchführung von Entscheidungen mithilfe von künstlicher Intelligenz an.

Was sind nach Ihren Erfahrungen in aller Welt denn die größten Herausforderungen bei Projekten, die sich um künstliche Intelligenz in der Logistik drehen?
In erster Linie geht es dabei um die Datenverfügbarkeit. Die Daten, die man benötigt, um eine KI zu trainieren, sind in der Regel irgendwo auf dem Terminal verfügbar. Denn das Training des Algorithmus einer künstlichen Intelligenz ist die Basis für die spätere Anwendung. Das heißt, je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser wird die künstliche Intelligenz funktionieren. Häufig sind diese Daten aber nicht auffindbar, und verschiedene Systeme müssen dafür erst miteinander kombiniert werden. Dort steckt die Hauptarbeit bei der Entwicklung von funktionsfähigen Anwendungen von künstlicher Intelligenz für Terminals.

Erweitern wir mal kurz den Blick über den eigentlichen Containerumschlag und die damit verbundene Logistik hinaus. Was gibt es sonst noch für maritime Einsatzmöglichkeiten für künstliche Intelligenz, die vielleicht erst in der Erforschung oder Entwicklung sind?
Wenn wir mal in der maritimen Logistik bleiben, konkret in der Schifffahrt, dann gäbe es dort konkrete Anwendungen. Da wäre die Navigation von Schiffen, und zwar eine wetteroptimierte Navigation von Schiffen. Das ist etwas, was heute schon passiert. So arbeitet beispielsweise die Reederei OOCL mit Microsoft zusammen im Bereich der Routenoptimierung für ihre Schiffe mithilfe künstlicher Intelligenz. Durch das Ausnutzen von Rückenwind, durch das Vermeiden von Schlechtwettergebieten können sie über 10 Millionen Dollar im Jahr sparen. Weitere Anwendungsfälle in der Schifffahrt sind natürlich Energieverbrauch bzw. seine Optimierung. Das hängt eng zusammen mit der Routenoptimierung und zunehmend auch Kollisionsvermeidung. Und wenn wir von Kollisionsvermeidung von Schiffen reden, dann denken wir logischerweise im nächsten Schritt auch schon an autonome Schiffe. Völlig besatzungslose Schiffe, die ausschließlich durch den Computer oder durch die künstliche Intelligenz gesteuert werden. Beispielsweise in Norwegen kommt das zum Einsatz, wo die Yara Birkeland seit letztem Jahr zwischen zwei Häfen hin und her pendelt.

Wir müssen noch über einen wichtigen Bereich sprechen: das Verhältnis von menschlicher und maschinengestützter Arbeit im Hafen. Also zunächst mal die oft gestellte Frage: Wird KI in Zukunft immer mehr Jobs im Hafen ersetzen oder überflüssig machen?
Das lässt sich zunächst mal nicht pauschal beantworten. Was sich sagen lässt: dass die KI zunehmend operative, planerische und auch administrative Aufgaben übernehmen wird, wodurch auch manuelle Aufgaben, manuelle Tätigkeiten, einfache Tätigkeiten wegfallen werden. Gleichzeitig entsteht zunehmend ein Bedarf nach qualifizierten Fachleuten für KI-Technologie. Nicht nur auf Seiten der Softwareentwickler oder Gerätelieferanten, sondern auch im Hafen, zur Überwachung und Steuerung der Geräte.

Sie sprachen die Notwendigkeit von mehr Spezialisten für KI-Lösungen schon an. Was sind das für Spezialisierungen, und wie holt man sich solche weltweit sehr gefragten Fachleute zu HPC oder zur HHLA?
Es gibt nur wenige spezialisierte Studiengänge für künstliche Intelligenz selbst. In der Regel sind das Teilgebiete eines Informatikstudiums, eines Mathematikstudiums oder auch von einem Ingenieurswissenschaftlichem Studium. Die eigentliche Kompetenz im Bereich künstlicher Intelligenz erwirbt man sich dann durch die praktische Tätigkeit. Das Berufsfeld bezeichnet man dann als den Data Scientist. Wie mehrfach erwähnt: die Daten sind die Grundlage der künstlichen Intelligenz. Dementsprechend ist der Data Scientist bzw. der Datenwissenschaftler derjenige, der sich mit diesen Daten auskennt und eben künstliche Intelligenz als Analysewerkzeug benutzt. Bei der HHLA und auch bei der Beratungstochter HPC hat man als Data Scientist die Möglichkeit, in einem innovativen und dynamischen Umfeld eine handfeste und erlebbare Industrie mitzugestalten. Ganz anders als in anderen Industrien, wie beispielsweise Versicherungen oder Banken, wo auch künstliche Intelligenz vermehrt zum Einsatz kommt.

Was brauchen solche Data Scientists oder auch Sie persönlich für Ihre Arbeit denn dringender? Ein tiefes methodisches Verständnis von KI oder umfassende Kenntnisse des Einsatzbereichs Hafen und Logistik?
Ein gesundes Verständnis von künstlicher Intelligenz ist sicher die Voraussetzung. Denn nur damit können Sie als Experte beurteilen, auf welchen Gebieten oder in welchen Anwendungsfällen künstliche Intelligenz geeignet ist. Vielmehr ist das Branchenwissen, hier konkret das Wissen im Hafenumfeld, von entscheidender Bedeutung. Denn nur dann wissen Sie auch, welche Daten erforderlich sind, auf welche Einflussfaktoren Sie schauen müssen, um eine erfolgreiche KI-Anwendung zu kreieren.

Fasse ich unser Gespräch dann richtig zusammen, wenn ich voraussage, dass auch in 20 Jahren noch keine menschenähnlichen Roboter durch den Hafen marschieren und Befehle erteilen werden? Aber dafür wird die Zusammenarbeit zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz immer mehr zur Normalität?
Davon gehe ich aus. Autonome Geräte und Fahrzeuge werden im Hafen immer mehr zum Standard werden. Auch Entscheidungen und administrative Arbeiten werden zunehmend durch künstliche Intelligenz übernommen werden. Gleichzeitig werden wir sehen, dass auch weiterhin der Mensch eine entscheidende Rolle im Hafen spielen wird. Es wird Anwendungsbereiche sowohl im betrieblichen Bereich als auch im administrativen Bereich geben, die der Mensch ausführt. Hinzu kommen immer mehr kontrollierende und überwachende Tätigkeiten.

Dann danke ich Ihnen, Herr Dr. Kemme, für das anregende und unterhaltsame Gespräch. Ich für meinen Teil war auf jeden Fall froh, dass ich dieses Interview noch ganz traditionell mit einer menschlichen Intelligenz führen durfte.

Und beim nächsten HHLA Talk soll es um Modility gehen. Sie kennen dieses Startup noch nicht? Dann hören Sie wieder rein und abonnieren Sie unbedingt auch unseren Newsletter und zwar unter www.hhla.de/Update.

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