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Von Martin Brudermüller, Roland Busch, Belén Garijo, Stefan Hartung, Nicola Leibinger-Kammüller, Jan Rinnert, Klaus Rosenfeld und Angela Titzrath
Die Intensität der öffentlichen Diskussion rund um die China-Reise von Bundeskanzler Scholz hat gezeigt, welche Bedeutung die Gestaltung der deutsch- chinesischen Beziehungen für Deutschland hat. Dieser Austausch ist gut, denn er stellt sicher, dass ein breites Spektrum an Sichtweisen in die Erstellung der neuen China-Strategie der Bundesregierung fließt.
In diesem Jahr jährt sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China zum fünfzigsten Mal. Während dieser Zeit waren die bilateralen Beziehungen geprägt von einer immer engeren Kooperation beider Länder, zum beiderseitigen Nutzen. China hat enormes Wachstum erzielt, 800 Millionen Menschen aus der Armut in eine moderne Mittelschicht gebracht und ist heute die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft. Deutschland konnte durch Technologiestärke, Exporte und mit Investitionen zu dieser Entwicklung beitragen. Vor allem aber hat Deutschland sich nicht zuletzt dadurch zu einem zentralen Akteur der Weltwirtschaft entwickelt, ist stark gewachsen und besitzt heute eines der weltweit höchsten Wohlstandsniveaus.
Unsere Standorte in China ebenso wie die in der ganzen Welt tragen ganz wesentlich zu unserer Wettbewerbsfähigkeit bei. Sie geben uns die Möglichkeiten, von den vielen technologischen Entwicklungen in anderen Ländern zu profitieren. Gleichzeitig sind sie Botschafter unserer Werte und Kultur und zeigen, wie deutsche Unternehmen überall in der Welt verantwortlich mit Mitarbeitenden, Umwelt und Zulieferketten umgehen.
Ein Gespräch mit Angela Titzrath, über das Chaos auf den Weltmeeren, gestörte Lieferketten und überzogene Erwartungen im Online-Handel.
Von allen Märkten ist China in den vergangenen 50 Jahren der weltweit zweitgrößte und dynamischste geworden. Deswegen ist unsere Präsenz dort im eigenen Interesse der deutschen Wirtschaftskraft besonders wichtig. Gerade heute gibt uns das gewaltige Potential des chinesischen Marktes die Chance, schneller auf größere Maßstäbe zu skalieren, um dann erfolgreicher auch auf anderen Märkten agieren zu können. Wir sichern damit Arbeitsplätze und Lebensunterhalt vieler Menschen in Deutschland. Unsere weltweiten Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstandorte tragen dazu bei, dass wir die großen gesellschaftlichen Projekte vorantreiben können, die uns in Deutschland und Europa am Herzen liegen: Klimaschutz, Energiewende, Ausbau der Infrastruktur, Fortschritt bei der Digitalisierung, Aus- und Weiterbildung und damit Innovation, aber auch die Verbesserung unseres Gesundheitssystems in einer überalternden Gesellschaft und schließlich den Ausbau unserer Verteidigung.
Doch wir müssen auch feststellen, dass sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern schon seit einigen Jahren sehr verändert hat. China reklamiert mit Blick auf seine Entwicklung immer robuster seinen Platz als Weltmacht. Das zeigt sich an den besorgniserregenden Spannungen in der Straße von Taiwan, die friedlich gelöst werden müssen. Und die Menschenrechtssituation in der Provinz Xinjiang entspricht nicht unseren Werten.
Es ist daher richtig, dass Deutschland sein Verhältnis mit China heute differenzierter definiert – entlang der drei Dimensionen Wettbewerb, Kooperation und Systemrivalität. Diese in eine zukunftsweisende Balance zu bringen ist eine schwierige, aber notwendige Aufgabe. So anspruchsvoll das Erreichen dieser Balance auch ist, so sehr stehen wir hinter ihr. Doch in der aktuellen öffentlichen Diskussion nehmen wir eine fast ausschließliche Betonung der Rivalität der Systeme wahr – in Worten und konkreten Maßnahmen.
Am 26. Oktober stimmte die Bundesregierung einer Beteiligung von CSPL an Betriebsgesellschaft HHLA Container Terminal Tollerort zu.
Für unsere Unternehmen ist Wettbewerb das tägliche Geschäft. Daher wissen wir: Im Wettbewerb muss man mit eigenen Stärken punkten. Und wir können unsere Positionen gegenüber China umso nachdrücklicher vertreten, je stärker wir selbst sind. Die Arbeit beginnt daher zu Hause. Zunächst müssen wir Risiken diversifizieren, etwa bei Halbleitern, Batterien, Rohmaterialien und seltenen Erden. Es gilt, sich einen Überblick über unsere Abhängigkeiten zu verschaffen und dann die Bereiche zu priorisieren, in denen diese Abhängigkeiten zu reduzieren sind. Wir werden dabei auf neue, aber auch auf bestehende Partner – etwa in Lateinamerika, in Afrika oder auch in Asien – zugehen. Und wir müssen die deutsche und die europäische Wettbewerbsfähigkeit massiv steigern. Dabei geht es um nicht weniger als die Erhöhung der Attraktivität des EU-Binnenmarktes.
Dazu gehört zentral die Umsetzung einer ambitionierten Forschungs-, Technologie- und Innovations-Agenda und eine grundsätzliche Reform der Rahmenbedingungen für Investitionen, insbesondere die dringend benötigte Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Mehr Unabhängigkeit ist nicht durch Abgrenzung zu erreichen, sondern nur durch Steigerung der Wachstumsdynamik und der Wiedererlangung technologischer Führungsstärke Europas.
Diese Stärkung Deutschlands und Europas muss einhergehen mit einem interessenbasierten Umgang mit China. Dazu gehört das Bekenntnis zum europäischen Wertegerüst ebenso wie die Erkenntnis, dass wir mit China im Gespräch und in der Zusammenarbeit bleiben müssen. Das meinen wir nicht nur bezogen auf die Wirtschaft und Technologieentwicklung, sondern auch auf andere Felder, wie etwa Kultur, Wissenschaft oder den Jugendaustausch. Das Ziel muss eine verantwortliche Koexistenz sein, bei der wir selbstbewusst für unsere Werte einstehen und gleichzeitig unsere wirtschaftliche Basis sicherstellen, auch durch diversifizierte und resiliente Wertschöpfungsketten. Ein derart gestärktes Deutschland und Europa hat die Souveränität, Chancen der Kooperation mit China zu nutzen und darauf einzuwirken, dass sich die wettbewerblichen Rahmenbedingungen auf beiden Seiten angleichen.
Trotz aller Herausforderungen Chinas und mit China sind wir davon überzeugt, dass dessen grundsätzliche Wachstumsdynamik bestehen bleibt. Ein Rückzug aus China würde uns von diesen Chancen abschneiden. Deshalb ist es in Deutschlands ureigenstem Interesse, dass wir die Dynamik in China auch weiterhin für Wachstumsimpulse in und die Stärkung von Europa nutzen. Beide Länder sind aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke heute zentrale Akteure im vernetzten globalen Handel. Daher müssen sich Deutschland, Europa und China neue Chancen in der Kooperation eröffnen, gemeinsam Projekte definieren, die in unser beider Interesse sind – die nachhaltige Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft ist dafür sicherlich das zentrale Feld. Der Vorreiter beim Klimaschutz und der weltweit größte CO2-Emittent sind natürliche Partner im Kampf gegen den Klimawandel. Gerade die Skaleneffekte im dynamischen chinesischen Markt können helfen, neue Technologien schneller zu Lösungen zu bringen, um die globalen Klimaziele zu erreichen. Die dringend notwendige Klimawende schaffen wir nur gemeinsam.
Ökologische, soziale und wirtschaftliche Interessen zu vereinen – diesen Anspruch unterstreicht unsere Nachhaltigkeitsstrategie unter dem Leitmotiv Balanced Logistics.
Mehr erfahrenFünfzig Jahre diplomatischer Beziehungen haben das Potential und zugleich die Herausforderungen der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit gezeigt. Eine Erkenntnis aber bestätigt sich: Im Miteinander lässt sich mehr erreichen als im Gegeneinander. Darauf müssen wir aufbauen, im eigenen Interesse und um globale Probleme gemeinsam zu lösen. Differenzen – und seien sie noch so groß – müssen im Dialog und mit gegenseitigem Respekt überwunden werden. Unabdingbare Voraussetzungen dafür sind ein gezielter und kontinuierlicher Abbau von Abhängigkeiten, den wir heute starten müssen, sowie ein wirtschaftlich und technologisch starkes Europa.
Weitere Infos zu „China – wichtiger Handelspartner Deutschlands“
Erschienen in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 10.11.2022. Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv
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