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Bau-Spezialisten von Universitäten forschen zusammen mit Experten von HHLA Immobilien an einem deutschlandweit beachteten „Klimaspeicher“. Sie untersuchen, wie unter den Bedingungen des strengen Denkmalschutzes im UNESCO-Weltkulturerbe eine energetische Sanierung von Bestandsimmobilien möglich und auch attraktiv ist.
Deutschlands Bürogebäude sind in die Jahre gekommen. Fast 70 Prozent dieser Bestandsimmobilien drohe die Überalterung, schrieb das Fachblatt „Platow Immobilien“ im April 2023. Eine Kernsanierung erscheint vielen Eigentümern nicht zuletzt aufgrund immer strengerer energetischer Normen und Standards kaum kalkulierbar. Oft wird daher der vermeintlich einfachere Weg von Abriss und Neubau eingeschlagen – vorschnell, wie neueste Forschungen nahelegen. Denn jeder Abriss bedeutet die Vergeudung großer Mengen noch funktionsfähigen Materials und „grauer Energie“. Diese ist solange im Gebäude gespeichert, bis es abgerissen wird und macht im Schnitt 50 Prozent der Energie des gesamten Lebenszyklus aus. Umso länger ein Gebäude daher genutzt wird, desto besser für das Klima.
Angesichts der immer knapper werdenden Ressourcen und rasant steigender Preise im Baugewerbe gibt es theoretisch eine nachhaltigere und langfristig auch kosteneffizientere Strategie: Energiesanierung bis auf klimaneutrales Niveau. Ob und wie dies für Büroimmobilien sogar unter den verschärften Bedingungen eines denkmalgeschützten Altbaus möglich ist, soll ein bundesweit wegweisendes Forschungsprojekt herausfinden. Das Verbundvorhaben heißt „CO2-neutrales Welterbe Speicherstadt Hamburg“.
Die zwischen 1885 und 1927 auf 1,1 Kilometern Länge errichtete Speicherstadt ist das größte zusammenhängende Lagerblock-Ensemble der Welt. Seit 1991 steht es unter Denkmalschutz, seit 2015 ist es als UNESCO-Weltkulturerbe besonders strengen denkmalhistorischen Auflagen unterworfen. Doch die Speicherstadt hat keineswegs Museumscharakter. Handelsfirmen, Mode-Agenturen und Start-ups reißen sich um Mietflächen im weltberühmten Quartier. Von den insgesamt 450.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche vermietet der Hausherr HHLA Immobilien derzeit 300.000 Quadratmeter.
HHLA Immobilien verfolgt ein ehrgeiziges Klimaziel: Bis 2040 soll die Speicherstadt zum energieeffizienten, CO2-neutralen Quartier umgebaut werden. Zusammen mit der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie suchen die Betreiber des Quartiers nach Wegen, erneuerbare Energien örtlich zu gewinnen und gleichzeitig Denkmalschutz und Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Das seit 2021 laufende Verbundvorhaben „CO2-neutrales Welterbe Speicherstadt“ läuft zunächst bis Ende 2024. Finanziell gefördert wird es durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Projektträger ist das Forschungszentrum Jülich. Zum Forschungsverbund gehören drei Hochschulpartner: die Universität Stuttgart mit dem Institut für Werkstoffe im Bauwesen, der Lehrstuhl für Entwurf und Analyse von Tragwerken an der HafenCity Universität Hamburg sowie die RWTH Aachen mit dem Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik.
Das Sandtorkaispeicher oder Block H genannte Kontorhaus dient als Pilotprojekt. Hier wird ermittelt, wie ein ganzer Block im UNESCO-Weltkulturerbe allein durch Nutzung der vorhandenen Dachflächen autark und emissionsfrei mit Wärme versorgt werden kann – ohne die Optik der historischen Dächer zu verändern. Das Forschungsvorhaben umfasst die Erzeugung von Solarstrom und Solarthermie, die Speicherung der Wärme mit verschiedenen Verfahren im Untergeschoss sowie die Verteilung und Regelung der Energie im Gebäude mittels einer Wärmepumpe. Der Nutzeffekt dieser Versuchsanlage wird in der Forschungswerkstatt im Erdgeschoss erprobt und gemessen. Besprechungsräume und Flure sind als Modell-Großraumbüro mit modernster Dämm- und Heiztechnik ausgestattet.
Auf dem Dach des historischen Speicherblocks H wurden zwei Giebeldachaufbauten aus Holzsparren auf einem Stahlrohrrahmen errichtet und mit „solarhybriden Dachsystemen“ eingedeckt. Diese Module generieren sowohl Solarstrom als auch Solarwärme. Dabei stellt allerdings der Denkmalschutz in der Speicherstadt strenge Anforderungen. Ihre Dächer sind traditionell entweder mit Kupferblechen oder mit Schindeln aus Schiefer gedeckt, was prägend zur typischen, weltweit bekannten Anmutung der Backsteingebäude beiträgt. Die solarhybriden Dachmodule durften dieses Bild also nicht durch die Lichtreflektionen und Farbeffekte herkömmlicher gläserner Solarzellen beeinträchtigen.
Ein großes Dach und ein Speicher im Keller könnten zur Wärmeversorgung eines ganzen Speicherstadt-Blocks ausreichen.
Deshalb wurden die Module auf den beiden neu errichteten Dachgiebelaufbauten auf jeweils 70 Quadratmetern Fläche als völlig neu entwickelte Imitate von Schiefer-Schindeln beziehungsweise Kupferblechen ausgeführt. Von der Straße und den umliegenden Gebäuden aus sind sie mit bloßem Auge nicht von den Original-Dachelementen zu unterscheiden. „Sie bestehen aber weder aus Schiefer noch aus Kupfer, sondern aus Glas“, erklärt Professor Dr.-Ing. Harald Garrecht von der Universität Stuttgart. Die UV-Strahlen der Sonne durchdringen dabei eine transparente Schicht, um sowohl Strom als auch Solarthermie generieren zu können.
Angeschlossen ist jedes Modul an ein unterhalb verlaufendes System aus Kupferrohren, durch die ein frostgeschütztes Gemisch aus Wasser und Glykol strömt und die Wärme ins Innere des Blocks transportiert. Gleichzeitig wird im Kreislauf kalte Flüssigkeit von unten zum Erwärmen nachgeführt. Der Strom, den die hybriden Dachmodule emissionsfrei produzieren, dient zum klimaneutralen Betreiben der gesamten Versuchsanlage. Größter Verbraucher ist neben der Regelelektronik dabei eine Wärmepumpe im Zentrum des Systems. Die Strom- und Wärmeausbeute in verschiedenen Wetterlagen und Saisons wird zunächst bis Jahresende gemessen und ausgewertet.
Im Keller des Speicherblocks arbeiten zwei Wärmeenergiespeicher, die auf ganz unterschiedlichen physikalischen Prinzipien basieren: der Eis- und der Betonspeicher. Der hybride Betonspeicher hat einen feststoffgefüllten und wasserdurchströmten Kern, der sehr gut isoliert ist. Eine im Sommer auf dem Dach generierte Hitze von bis zu 70 Grad kann in diesem einmal aufgeheizten Kern mittelfristig erhalten werden, um die Büroräume des Speichers dann in der Übergangszeit wochenlang mit sogenannter „sensibler“ Wärme zu versorgen. Doch wenn die im Betonblock gespeicherte Wärme während einer längeren Kälteperiode verbraucht ist, lässt sie sich im sonnenarmen Winter dort nicht mehr regenerieren. Dann übernimmt der Eisspeicher und macht dabei sogenannte „Latentwärme“ nutzbar.
In den insgesamt zwölf Zellen des eigens neuentwickelten Eisspeichertyps wird das Phänomen des „Phasenwechsels“ ausgenutzt: Dem Wasser im Eisspeicher entzieht ein Wärmetauscher die Energie, bis es gefriert. Die Phase wechselt somit von flüssig zu fest, was einen Latentwärme-Energieschub bewirkt. Dieser Energieschub lässt sich über die Wärmepumpe zur Versorgung der Fußbodenheizung nutzen. Gerade im kältesten Winter ist der Wärmepumpeneinsatz nämlich am ertragreichsten.
Derweil wärmen die Dachzellen das in den Rohrleitungen zwischen Dach und Eisspeicher geführte Leitungsmedium wieder leicht an. Es wird in den Keller geleitet, zum Auftauen des Eisblocks eingesetzt – und der Zyklus kann erneut beginnen. Ein- bis zweimal pro Woche lässt sich so die Wärmeenergie des Eisspeichers „ernten“, die pro Kubikmeter Wasser im Speicher etwa 93 Kilowattstunden ergibt. Das ist immerhin das Wärmeleistungs-Äquivalent von 9,3 Litern Heizöl. Wie effizient das funktioniert, ist wissenschaftliches Neuland. Belastbare Daten soll nun der Modellversuch erbringen.
Die sogenannte Verteilerstelle im Erdgeschoss des Speicherblocks ist ein komplexes Geflecht aus Rohrleitungen, Reglern, Messfühlern und Ventilen. Sie sind verbunden mit einem kühlschrankgroßer Kasten: der zentralen Wärmepumpe. Hier laufen die Leitungen von und zu allen Komponenten des energetischen Systems zusammen. Dazu zählen zum Ersten die beiden Energiequellen Solarstrom und Solarthermie auf dem Dach. Zweitens die Wärmeströme aus den beiden unterschiedlich arbeitenden Speicherblöcken im Untergeschoss: Eis- und Betonhybridspeicher. Drittens die Zu- und Rückflussrohre der Fußbodenheizung im Versuchs-Großraumbüro.
Nicht sichtbar sind die Stromleitungen, die ebenfalls von den „solarhybriden Dachsystemen“ gespeist werden. Über eine Zwischenspeicherbatterie versorgen sie vor allem den Kompressor der Wärmepumpe. Wenn die Wärmepumpe Umweltwärme vom Dach anfordert, wird das flüssige Medium in den Kupferrohren mittels Umwälzpumpe zu den Dachmodulen gepumpt, wo Wintersonne und Umweltwärme es auf wenige Grad Celsius erwärmen. Im Rücklauf gelangt es zur Wärmepumpe, die das Medium mit hohem Wirkungsgrad auf etwa 30 Grad anheizt und zur Wärmeabgabe in die Fußbodenheizung leitet.
Drei Fragen an Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing
Warum muss Hamburg eines seiner exponiertesten historischen Wahrzeichen klimaneutral ertüchtigen?
Die Stadt Hamburg verfolgt wie die HHLA das Ziel, die Speicherstadt langfristig zu einem lebendigen innerstädtischen Quartier zu entwickeln. Die Speicherstadt ist „Hafengeschichte zum Anfassen“ und ein wichtiges Bindeglied zwischen Innenstadt und HafenCity. Zukünftige Nutzungen sind dabei unerlässlich, um die denkmalgeschützten Speicher zu erhalten. Das Forschungsprojekt untersucht die möglichen Sanierungswege umfassend und bewertet die Chancen gemeinsam mit dem Denkmalschutzamt und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.
Kann ein Konflikt zwischen den Restriktionen des Denkmalschutzes und den Anforderungen für eine klimaneutrale Energiesanierung entstehen?
Natürlich stellt die denkmalgeschützte und als Welterbe eingetragene Speicherstadt eine echte Herausforderung dar. Mit besonderer Sensibilität sind die Fassaden und Dachlandschaften zu behandeln. Sie werden tausendfach von Touristen betrachtet, fotografiert und in die Welt getragen. Hier müssen wir Lösungen finden, wie wir mit energetischen Sanierungen den Anforderungen des Denkmalschutzes und der Gestaltung gleichermaßen gerecht werden.
Hat die klimaneutrale Ertüchtigung des Weltkulturerbes Speicherstadt eine Signalwirkung für andere ältere Bürogebäude?
Das ist sicher einer der interessanten Aspekte. Das Thema der nachhaltigen Sanierung nimmt an Bedeutung zu. Es wäre ein Meilenstein, wenn es am Ende des Forschungsprojektes einen „Maßnahmenkoffer“ für die denkmalgerechte und energieeffiziente Modernisierung von denkmalgeschützten und anderer älterer, stadtbildprägender Gebäude gäbe.
Ein Teil der Forschungswerkstatt dient der Simulation und Messung, wie künftige Mieter in klimaneutral energiesanierten Speicherstadt-Büros die Wärmeversorgung erleben werden. Dazu zählt eine Fußbodenheizung, aber für die Spitzenlast bei großer Winterkälte zusätzlich auch die modernste Generation elektrisch betriebener Infrarot-Heizelemente. „Für eine denkmalgerechte Wärmedämmung werden verschiedene unauffällige Innendämmputz-Verfahren erprobt“, erklärt Peter Rosenzweig, Projektleiter bei HHLA Immobilien.
Wenn diese prototypischen Entwicklungen funktionieren, können sie sofort auf jedes normale Bestandsgebäude übertragen werden.
Insgesamt sind die Forschenden wie auch HHLA Immobilien und die Stadt Hamburg optimistisch: Alle hoffen, einen gut skalierbaren „Maßnahmenkoffer“ (siehe Interview oben) für die großflächige, klimaneutrale Wärmesanierung der gesamten Speicherstadt entwickeln zu können. „Die Testphase läuft noch“, so Rosenzweig, „aber ein Dach wie dieses und Speichertechnik wie im Keller könnten zur Versorgung eines Speicherblocks ausreichen.“ Und als Blaupause für betagte Büroimmobilien an anderen Orten, die nicht von planerischen Einschränkungen durch den Denkmalschutz betroffen sind, wäre das Konzept sogar noch einfacher umsetzbar. „Es sind prototypische Entwicklungen, von denen noch keiner weiß, wie es ausgeht“, sagt Materialforscher Garrecht von der Uni Stuttgart. „Wenn sie jedoch funktionieren, können sie sofort auf jedes normale Bestandsgebäude übertragen werden.“
Text: Oliver Driesen
Veröffentlicht am 17.5.2024