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Die Fahrpläne in der Schifffahrt und die globalen Lieferketten sind anhaltenden Belastungsproben ausgesetzt. Doch der Hafen Hamburg setzt Beschleunigung durch verbesserte Kollaboration dagegen. Der Turbo heisst Import-Message-Plattform (IMP).
Etwa 8,5 Millionen Standardcontainer werden im Hafen Hamburg jährlich umgeschlagen. „Wir können diese Container planbar machen und damit sogar schneller“ sagt Ulrich Wrage, Vorstand des Hamburger IT-Softwarehauses DAKOSY, das in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert. Eines der wichtigsten DAKOSY-Produkte ist das Port Community System (PCS), an das mehr als 2.500 Unternehmen aus der Hafenwirtschaft, Logistik, Industrie und Handel angeschlossen sind. Denn in der Hansestadt werden die Weichen für die Abfertigung der Container schon gestellt, während diese noch über die Weltmeere schippern.
Das zahlt sich aus. „Bei einer optimalen Abstimmung der Prozesse kann die Box im Hafen innerhalb eines Tages weiterverladen werden“, berichtet Sönke Witt, bei der HHLA für Geschäftspartnerkommunikation verantwortlich. Im Durchschnitt liege die Verweildauer am Terminal bei etwa vier Tagen. Aber wer sich erst mit den Zollprozessen und der Weiterverladung beschäftigt, wenn der Container im Hafen entladen ist, kann schnell zwei bis drei Tage zusätzlich einplanen.
Den Turbo zuschalten: Bei optimaler Abstimmung können Container innerhalb eines Tages weiterverladen werden, obwohl die durchschnittliche Verweildauer auf dem Terminal bei etwa vier Tagen liegt.
Der digitale Turbo ist in der Hamburger Logistikszene unter der Abkürzung IMP bekannt. Sie steht für Import-Message-Platform und ist Teil des Port Community Systems. Alle Beteiligten zahlen gemeinsam in das kollaborative System IMP ein, und zwar in Form von Daten: Carrier, Behörden, Speditionen, Terminaldienstleister und andere Hafenbeteiligte. Als Daten-Rendite werden mehr als 100 Statusinformationen rund um den betroffenen Container ausgegeben.
„911“ ist aktuell eine häufig angezeigte Statusinformation. Sie informiert vorausschauend die an die IMP angeschlossenen Terminals, Speditionen und Empfänger des Containers über eine verspätete Schiffsankunft. Alle Beteiligten können frühzeitig agieren, beispielsweise die Logistikkette ab dem Hafen beschleunigen, den Produktionsprozess oder die Verkaufsaktion anpassen.
Geliefert wird die Information über Status „911“ wie auch Status „912“ (frühere Schiffsankunft) vom HVCC, dem Hamburg Vessel Coordination Center. Das Joint Venture von HHLA und Eurogate koordiniert jährlich rund 3.000 Überseeschiffe, 1.200 Feeder- und 400 Binnenschiffe für den Hamburger Hafen.
„Wir haben die Schiffe bereits ab der Straße von Gibraltar auf dem Schirm und verfeinern die Informationen fortlaufend bis zur Ankunft im Hafen“, präzisiert deren Geschäftsführer Gerald Hirt. Die hochwertigen, sicheren und zahlreichen Datenquellen hat Hirt in sechs Säulen untergliedert.
Aus diesen Mosaiksteinchen erstellt das HVCC in Zusammenarbeit mit der Hamburg Port Authority (HPA) eine Verkehrslage für die nächsten vier Tage im Voraus. Unterstützt wird die Arbeit des HVCC durch einfache Ansätze von künstlicher Intelligenz. So springe eine Ampel zur Ankunftsberechnung automatisch auf Rot, wenn der Algorithmus errechnet, dass ein Schiff den Ansteuerungspunkt an der Außenelbe nicht wie abgestimmt erreichen wird. „Um das zu vermeiden, erhalten alle Containerreeder eine detaillierte Passageplanungen mit einer Geschwindigkeitsempfehlung ab dem Vorhafen und Informationen zur Verkehrslage“, erklärt Hirt.
Nahezu alle Container, die Hellmann über den Seehafen Hamburg importseitig abwickelt, werden über die IMP-Plattform verfügt. Mit der „Verfügung“ zeigt der Spediteur an, dass er berechtigt ist, den Container in Hamburg zu übernehmen und wie er den „Nachlauf“ organisieren will – also ob die Box per Lkw, Bahn oder Binnenschiff weitertransportiert wird.
Dafür sendet die Spedition circa zehn Tage vor Schiffsankunft, folgende Informationen zu dem erwarteten Container an die IMP: die Containernummer, das Bill of Lading und das Verkehrsmittel, mit dem der Weitertransport zum Kunden erfolgen soll. Zusätzlich nutzt Hellmann für seine Container die Funktion der „vorzeitigen Verzollung“.
Mit diesen Informationen wird ein Dominoeffekt ausgelöst, der den Containern im Hafen einen echten Zeitvorsprung verschafft. Durch das vorzeitige Senden kann der Zoll, der ebenfalls über die Zollsoftware von DAKOSY angebunden ist, die Zollanmeldungen schon vorprüfen, während die Container noch auf See sind. Man nimmt also einen Teil der Zollarbeit vorweg.
Christian Körte, Head of Customs Germany der Spedition Hellmann Worldwide Logistics, berichtet über seine Erfahrungen mit IMP
Sobald das Containerschiff am Terminal festmacht, wird der Zeitvorteil der „IMP-Nutzer“ sichtbar. Dieser kann mehrere Tage ausmachen. Pro Anlauf eines Großschiffs werden etwa 9.000 Standardcontainer (TEU) gelöscht und geladen, teilweise werden sogar zwei Schiffe gleichzeitig abgefertigt. Selbst bei einem so hohen Automatisierungsgrad, wie ihn die Hafenterminals der HHLA schon erreicht haben, braucht allein dieser Vorgang drei bis vier Tage.
„Gerade bei den aktuellen Schiffsverspätungen hilft es uns, wenn viele Teilnehmer die IMP nutzen. Die über die IT-Plattform verfügten Boxen können nahezu ohne Wartezeiten nahtlos durch unser Terminal laufen. Werden die Zollprozesse oder Weitertransportentscheidungen erst nach Ankunft des Containers getroffen, kann dies die Abfertigung teilweise um Tage zurückwerfen“, berichtet Sönke Witt von der HHLA.
In der Praxis geht es für die vorverzollten Container wie folgt weiter: In der Minute, in der die Box gelöscht ist, wird mit der Statusinformation „Lösch-IST“ an die IMP automatisiert die endgültige Verzollung ausgelöst. Sobald die Zollfreigabe vorliegt, kann der Container sofort weiterdisponiert werden.
Jetzt zahlt es sich aus, wenn die Informationen über die Weiterverladung im Vorfeld vorhanden sind - also wann der Container mit welchem Transportmittel weitertransportiert werden soll. „Wir berechnen aus diesen Angaben den optimalen Terminalplatz. Diese Boxen haben die Chance auf eine Pole-Position für ihre weitere Reise, zum Beispiel nahe an der Kaikante, wenn es per Binnenschiff weitergeht oder nahe der Schiene bei einem Bahntransport“, konkretisiert Witt. So sind die optimalen Voraussetzungen geschaffen, dass der Container ohne große Wartezeiten zum Empfänger transportiert wird.
Die Schiffverzögerungen, die sich mittlerweile im Bereich von Tagen und Wochen bewegen, müssen also nicht tatenlos hingenommen werden. Im ersten Schritt sorgt die Import Message Platform für Transparenz, indem sich nahezu in Echtzeit verfolgen lässt, wann das Schiff mit dem erwartenden Container in Hamburg eintrifft. Dies sorgt für eine bessere Planbarkeit der weiteren Lieferkette. Durch die konsequente Nutzung der digitalen Möglichkeiten kann der Container im zweiten Schritt ohne Wartezeiten im Hafen Hamburg auf seine Reise ins Hinterland vorbereitet werden. Wenn es beim Transport gut läuft, kommt er auch früher dort an, wo er schon dringend erwartet wird.
Auch einer der letzten Prozesse, den IMP bis jetzt noch nicht abbildet, wird angepackt: die Freistellung. Sie berechtigt zur Abholung der Ware am Containerterminal und ist besonders sensibel, da sich im Container oft hohe Warenwerte befinden. Aktuell lässt sich aus der IMP mittels einer roten oder grünen Ampel nur der Status ablesen, ob die Freistellung vorliegt. Künftig soll der gesamte Prozess, also die Abstimmung zwischen Reeder, Spediteur, Terminal und Transporteur standardisiert über die IMP laufen. Und das nicht nur in Hamburg: auch in Bremerhaven, Bremen und Wilhelmshaven soll die Lösung funktionieren, die als gemeinsames Projekt von DAKOSY und dbh Logistics IT aus Bremen entwickelt wird.
Aktualisiert im September 2022