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Mit vorsichtigen Schritten tasten sich die Menschen durch den Raum. Einen Raum, den sie nicht sehen. Sie fuchteln mit den Armen, in den Händen futuristische Sensoren. Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben überdimensionale, schwarze Brillen auf, die ihnen ein Abenteuer vorgaukeln, das es nur in der virtuellen Realität gibt. Willkommen in der Zukunft, willkommen im Yullbe Wunderland, im Block L der Hamburger Speicherstadt.
Das Yullbe Wunderland im Erdgeschoss des Speichers L33 ist Teil der größten Touristenattraktion Deutschlands. Das Miniatur-Wunderland hat sich im vergangenen Jahr über den Fleet-Kanal zwischen den Blöcken D und L ausgedehnt. Eine gläserne Brücke, über die natürlich auch Miniaturzüge fahren, verbindet die beiden Wunderland-Ausstellungsteile jetzt. „Ihre Planung und Ausführung war eine große Verantwortung und Herausforderung, schließlich bauen wir hier im UNESCO-Welterbe Speicherstadt“, erzählt der Architekt Alexandre Rombourg. Er ist bei HHLA Immobilien für den Block L verantwortlich und stimmt sich sehr eng mit dem Amt für Denkmalschutz ab.
Das gilt für den gesamten Block L, der sich vom Lagerhaus für Teppiche und andere Exportwaren zu einem rundherum innovativen Gebäude verwandelt. Einen Teil dieses Blocks, den Speicher L32, haben die Architekten und Ingenieure von HHLA Immobilien in den vergangenen Jahren nicht nur den Wünschen der Mieter entsprechend umgebaut. Es mussten auch alle Ansprüche an zeitgemäße Arbeitsplätze und die Belange des Brandschutzes berücksichtigt werden. Das fängt im Keller an, der ein großes Becken Feuerlöschwasser für die Sprinkleranlage bereithält. Das Besondere daran: Die Anlage ist überflutungssicher. Der Keller kann zwar volllaufen, die Anlage funktioniert aber weiter, falls die Feuerwehr bei Hochwasser nicht mehr anrücken kann. Der Brandschutz ist eines der wichtigsten Themen bei der Sanierung der Speicherstadt überhaupt, weil die Anforderungen mit der intensiven Nutzung enorm gestiegen sind und etwa zweite Treppenhäuser als Fluchtwege benötigt werden.
Im 1. bis 4. Boden des Speichers L32 hat seit ein paar Monaten eine Gruppe von Logistik-Start-ups mit Namen wie „Angel Last Mile“, „Ducktrain“, „Nautilus Log“ oder „Shipsta“ eine Heimat gefunden. Sie beschäftigen sich mit der digitalen Ausschreibung von Schiffsfrachten, Lieferketten-Organisation oder einem digitalisierten Logbuch für die Schifffahrt. Kurz: mit allem, was die für die Hansestadt so wichtige Logistikbranche voranbringt. Auch das Dachgeschoss des mächtigen Ziegelbaus steckt voller neuer Ideen und Technologien. Auf der einen Seite die Event-Location des Digital Hub Logistics, in der schlaue Menschen regelmäßig über die digitale Zukunft nachdenken. Auf der anderen Seite des Treppenhauses, unter gewaltigen Dachbalken, sieht es aus wie in einer großen Industrieanlage: Maschinenschränke der Gebäudesteuerung, Lüftungs- und Heizungsanlagen, Luftkanäle und Pumpen.
Alexandre Rombourg, Architekt und Projektleiter
„Weil wir keine Aufsätze für Lüftungsschächte auf den Dächern genehmigt bekommen, haben wir Lüftungslamellen eingesetzt“, erklärt Alexandre Rombourg. „Ihr Vorteil ist, dass man sie von außen kaum sieht.“ Er spricht dabei ein Thema an, das Fluch und Segen zugleich ist: Was immer in der Speicherstadt baulich verändert wird, muss mit dem strengen konservatorischen Anspruch des UNESCO-Welterbes in Übereinstimmung gebracht werden. Gerade äußere Veränderungen sind weitgehend tabu – auch wenn sie energieeffizient und funktional sinnvoll sind.
Doch der Strukturwandel in der Speicherstadt begann schon lange bevor das gesamte Ensemble 2015 mit dem Titel der UNESCO geehrt wurde. Seit Anfang der 70er-Jahre konnten Waren direkt in Containern gelagert werden und mussten immer seltener ausgepackt werden. Die ausgedehnten Lagerflächen in den Speicherblöcken verloren ihre Bedeutung. Bei der HHLA, die sie seit 1885 in mehreren Phasen errichtet hatte und immer noch verwaltete, begann man, über neue Nutzungen nachzudenken. Hafenfremde Mieter zogen ein, zum Beispiel Werbe- oder Modeagenturen. Attraktionen wie das Miniatur Wunderland entstanden und trugen dazu bei, die Speicherstadt zu einer der beliebtesten Attraktionen Hamburgs zu machen.
Bestes Beispiel für die gewaltige Verwandlung ist der Speicherblock L31. Vor der Planung, die bereits 2017 begann, gab es hier günstige Lagerflächen ohne Heizung, Aufzüge oder gar Sprinkleranlagen. Heute betreten wir vom Sandtorkai aus ein nobles Büro-Quartier, das Architekten und Mieter gleichermaßen begeistert.
Im Sommer 2022 zog MSC Germany ein, eine Niederlassung der zweitgrößten Reederei der Welt. Während im Erdgeschoss noch an den Räumen für Gastronomie und für eine Ausstellung gewerkelt wird, sind weiter oben schon schicke, moderne Arbeitsplätze entstanden. Die schönsten davon unterm offenen Dachstuhl mit seiner eindrucksvollen Balkenkonstruktion: Über zwei Etagen reihen sich großzügig Arbeitsplätze, Besprechungsecken oder Ruheräume. Durch die alten Luken haben die Mitarbeitenden dabei immer die benachbarten Lagerhäuser vor Augen. Bei aller Bildschirmarbeit wird ihnen dadurch bewusst, dass sie und ihr Unternehmen ein wichtiger Teil des maritimen Standorts Hamburg sind.
Umbau und die Ertüchtigung des Gebäudes waren enorm anspruchsvoll. Die Architektin Ulrike Rau weiß ein Lied davon zu singen. Ihr aktuelles Projekt ist noch komplexer: ein Neubau innerhalb des Welterbes. Es soll da entstehen, wo früher ein Maschinenhaus Strom und Hydraulik für die Speicherstadt lieferte. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs hatten es zerstört und ein großes Loch gerissen. Die meisten beschädigten Gebäude wurden rasch wieder aufgebaut, Speicher und Büros wurden ja gebraucht. Das galt für den zerstörten Teil der Maschinenzentralstation nicht, daher blieb eine kleine Baulücke bestehen. Jetzt wurden die Gewölbe freigelegt und die noch verwendbaren wertvollen Ziegel aus dem Schutt gerettet. Neben dem erhaltenen Gebäudeteil soll jetzt ein multifunktionaler Neubau entstehen. „Auch der UNESCO-Status erlaubt, dass wir behutsam ergänzen und Neues bauen dürfen“, sagt Ulrike Rau. „Ohne zu rekonstruieren, nehmen wir dabei natürlich Rücksicht auf die Umgebung, die bestehenden Kubaturen und Materialien. Mit der Sanierung und dem Aufbau der ehemaligen Maschinenzentralstation werden wir rund 4.000 Quadratmeter neue Fläche schaffen, die mit ihrem historischen Ambiente Raum für smarte Nutzungsideen bietet.“
Ein Neubau inmitten des UNESCO Welterbes erfordert Fingerspitzengefühl. Die architektonische Lösung ist daher eine ganz besondere.
Das Projekt MaschinenzentralstationAls wäre dieser Strukturwandel nicht schon anspruchsvoll genug, müssen sich alle Um- und Neubauten auf ein weiteres wichtiges Ziel ausrichten: Die Speicherstadt soll bis 2040 klimaneutral werden. Die Architekten Peter Modlich und Peter Rosenzweig koordinieren dazu ein Forschungsprojekt, bei dem HHLA Immobilien als Gesamtprojektleiter mit vielen Partnern aus Forschung und Wissenschaft, zum Beispiel dem Institut für Werkstoffe im Bauwesen (IWB) der Universität Stuttgart, zusammenarbeitet. Sie erfassen gemeinsam den Istzustand, setzen daraus mit der HafenCity-Universität ein Modell auf und forschen nach möglichen CO2-neutralen Lösungen. Als Ergebnis sollen Handlungsanleitungen für die klimaneutrale energetische Sanierung des gesamten Speicherstadt-Komplexes entstehen. Dafür wurde eine frei gewordene Fläche im Erdgeschoss von Block H entkernt und zu einer Forschungswerkstatt umgebaut. Sensoren messen Temperatur, CO2-Gehalt und Feuchtigkeit. Neue Heizungssysteme im Niedertemperaturbereich werden auf ihre Wirkung getestet, verschiedene Innendämmputze erprobt. Vor allem wird praxisnah untersucht, ob und wie die Gebäude über Wärmepumpen, Solarthermie und Fotovoltaik energieautark werden können. „Und das alles mit intensiver Begleitung des Hamburger Denkmalschutzamtes“, sagt Peter Rosenzweig. „Dafür entwickelt das IWB Fotovoltaiksysteme, die von außen wie typische Kupfer- oder Schieferdächer aussehen.“
Bis zu 60.000 Quadratmeter Dachfläche bietet die Speicherstadt. Selbst im nicht so sonnigen Norden können Fotovoltaik- und Solarthermie-Anlagen sinnvoll eingesetzt werden. Weil aber die Anlagen im Sommer wesentlich mehr Energie erzeugen als im Winter, wenn der Bedarf höher ist, sollen elektrische Energie und Wärme gespeichert werden. Dazu wurde im Keller unter die Forschungswerkstatt bereits ein großer, von außen gedämmter Betonquader gesetzt. Über Austauschrohre, die im Beton eingegossen sind, wird Wärme in den Quader hineingeleitet und gespeichert. In der kalten Jahreszeit kann sie mittels Wärmepumpe wieder entnommen und dem Gebäude zur Verfügung gestellt werden.
Viele einzelne Maßnahmen sind nötig, um das UNESCO-Welterbe der Speicherstadt in die Zukunft zu bringen. Energetische Sanierung, innovativer und zugleich denkmalgerechter Umbau, neue und hochattraktive Nutzungsmöglichkeiten. All das, um die Gebäude mit Leben zu füllen, sie am Leben zu erhalten. So knüpft der faszinierende Lagerhaus-Komplex daran an, was er schon bei seiner Entstehung vor 140 Jahren war: ein Zentrum zeitgemäßer Logistik und ein internationales Vorbild für Innovation – kein in Traditionen verharrender Vergangenheitsort.
Veröffentlicht am 4.4.2023
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