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Estland, einer der drei baltischen Staaten am nördlichen Ende Europas, hat es geschafft. Durch viele Medienberichte gilt das Land auch bei Menschen, die noch niemals dort waren, als Vorreiter der Digitalisierung. Bestätigt wird das durch den Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission. Estland nimmt hier den ersten Platz in der EU bei digitalen öffentlichen Dienstleistungen ein, und in der Hauptstadt Tallinn spürt man das.
Tallinn versteht es, dem Besucher ein Gefühl von Modernität und Aufbruch zu vermitteln. Um den historischen Stadtkern der alten Hansestadt hat sich ein Gürtel von blitzblanken Hochhäusern gelegt, in denen überdurchschnittlich viele Startups residieren.
Zum Beispiel im Geschäftsquartier Ülemiste, wo das Informationszentrum e-estonia seinen Showroom hat. Vor dem Eingang steht ein Lieferfahrzeug von KFC, dem amerikanischen Hähnchen-Imbiss. Es wirkt ungewöhnlich, denn ihm fehlt ein Fahrerhaus. Das braucht es auch nicht, denn es fährt autonom. Entwickelt hat es die estnische Firma AuveTech. Sie baut nicht nur Lieferfahrzeuge, sondern ihre Shuttle befördern bereits kleine Passagiergruppen.
Solche Firmen haben einen Vorteil davon, in Estland zu investieren. Carmen Raal, Digital Transformation Adviser bei e-estonia, begründet das so: “Estland hat als erstes europäisches Land das autonome Fahren erlaubt. Wir sind gerne das Testfeld für neue Lösungen und wollen dafür viele junge Unternehmen gewinnen.“
Für das autonome Fahren wurde ein bestehendes Gesetz einfach kreativ ausgelegt. Carmen Raal lächelt charmant: „Im Gesetz hieß es, jedes Fahrzeug muss durch einen Fahrer gesteuert werden. Nicht aber, dass der Fahrer auch im Fahrzeug sitzen muss!“
“Estland hat als erstes europäisches Land das autonome Fahren erlaubt.”
Diese Möglichkeit nutzen mittlerweile viele Unternehmen. Zum Beispiel Starship, dessen koffergroße Transporter Lebensmittel und Bestellungen aus Restaurants in der ganzen Stadt verteilen. Essen auf Rädern, mal ganz anders!
Auch das Münchner Startup FERNRIDE, an dem sich HHLA Next beteiligt hat, setzt auf Estland. Teil-autonome Zugmaschinen fahren seit 2023 über den Terminal HHLA TK Estonia im Hafen von Muuga, ganz in der Nähe von Tallinn. In der ersten Phase ist das Fahrzeug ferngesteuert, im Winter 2023 wird sich das erste teilweise autonom bewegen. Weitere sollen folgen…
Welche Route werden Lkw in die Mobilität der Zukunft nehmen?
WeiterlesenDen Universalhafen Muuga, am nordöstlichen Rand von Europa, kennt noch nicht jeder in der Logistikbranche. „Wir wollen einen besseren und flexibleren Service als die anderen bieten“, sagt Riia Sillave. Sie ist CEO des Multifunktionsterminals HHLA TK Estonia, der seit über 30 Jahren besteht und seit 2018 zur HHLA Gruppe gehört. Für sie ist einer der Wege dahin die schnelle Digitalisierung. „Hier auf dem Terminal möchten wir die Entwicklung ähnlich gestalten, wie es Estland nach der Unabhängigkeit geschafft hat. – vom analogen direkt in das Zeitalter der Glasfaserkabel. Wir überspringen auch ein paar Entwicklungsstufen, das verschafft uns einen Vorsprung.“
Tatsächlich marschiert der relativ kleine estnische Terminal größeren Anlagen schon voraus. Ein Hinweis sind die nagelneuen Selbsbedienungsterminals an den Schranken der Einfahrt ins Containerterminal. Hier kontrollierten früher Mitarbeiter von HHLA TK Estland die Container, die durch das Gate gingen. Das kostete zu viel Zeit und führte zu Warteschlangen. Die Automatisierung der Ein- und Ausfahrt am Containerterminal wäre sehr hilfreich für Kunden, stellte Julia Metslov fest. Die junge, enthusiastische Leiterin des Kundendienstes setzte ein Projekt auf, und es dauerte nicht einmal ein Jahr, bis alle Prozesse digitalisiert waren. Mehr über die neue Lösung lesen
Die Container-Trucker brauchen am Gate nicht mehr aussteigen und bekommen alle Informationen zu ihrer Lieferung am Bildschirm oder ausgedruckt. Bald sollen sie die Info per SMS erhalten. Auch die Fahrer, die Stück- und Schüttgüter transportieren, brauchen kein Papier und keine Kontrolle am Gate mehr, berichtet Operations Manager Toomas Uibokant. Dieser Vorgang ist etwas komplexer als der mit den Containern. Jede Stahlbox hat eine unverwechselbare Nummer, die man mit Hilfe spezieller Bilderkennung (OCR) einlesen kann. Das gilt nicht für den Kipplaster, der gerade Kies vom Terminal abholen will. Er hat zwar ein Nummernschild, aber wie erfasst man seine Ladung?
Toomas Uibokant steht am Gate und demonstriert, dass es schon eine funktionierende Lösung für dieses Problem gibt. Ja, die Schranke hebt sich, nachdem die Kamera das Bild des Nummernschilds ins System übertragen hat. Nach dem vollautomatischen Wiegen wird das Ergebnis im System erfasst und der Ladevorgang kann beginnen. Beim Verlassen des Terminals mit voller Ladung öffnet sich das Tor erst wieder, wenn der Lkw nochmals gewogen wurde.
Schon als Kind fuhr Liivikas auf dem Bagger ihres Vaters mit, ihr Spielplatz war die Kiesgrube in der Nähe. Heute arbeitet sie im estnischen Hafen Muuga und wechselt gerne mal auf noch größere Geräte.
WeiterlesenDieses System zum Anmelden und Prüfen funktioniert im gesamten Port Community System des Hafens Muuga. Auch die äußeren Zugänge des Geländes sind in das Gate Operating System eingebunden und öffnen automatisch ihre Schranken für den angemeldeten Transport. Innerhalb von Estland, wo pragmatisch und digital gedacht wird, ist das möglich. Im internationalen Gütertransport stoßen solche Lösungen auf manchmal unüberwindbare Hürden. „Es gibt weiterhin Geschäftspartner, die sich die Übernahme der Fracht mit einer Unterschrift auf Papier bestätigen lassen müssen“, bedauert Riia Sillave. Man spürt, dass die tatendurstige Chefin des Terminals gerne den nächsten großen Sprung machen würde.
Es gab Versuche, die Daten über Container weltweit mit Hilfe der Blockchain-Technologie darzustellen, und natürlich hat HHLA TK Estonia daran teilgenommen. Doch es gelang bisher nicht, die Interessen aller an der Transportkette beteiligten Akteure unter einen Hut zu bringen. „Transparente Datenübermittlung würde den Service viel schneller machen. Solange hier aber Hürden im Datenschutz bestehen, sind uns im Hafen Grenzen gesetzt,“ resümiert Sillave. Für das Team von HHLA TK Estonia ist das aber selbstverständlich nur ein Ansporn. Wo sonst sollte man eine digitale Lösung finden, wenn nicht in Estland?
Veröffentlicht am 7.11.2023