Lieferketten im Dauerstress

Die Global Supply Chain muss Belastungen aus zahlreichen Krisen und Konflikten abfedern.

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Lieferengpässe beeinträchtigen immer wieder den Welthandel. Ob Mikrochips, Holz oder bestimmte Konsumgüter – Verbraucher warten oft monatelang auf manche Waren, Hersteller auf Vorprodukte. Die Ursachen für die Störungen sind vielfältig, die Lösung der Probleme eine Gemeinschaftsaufgabe aller Teilnehmer in den Transportketten. Die HHLA leistet ihren Beitrag durch zusätzliche Lagerflächen für Container und Data Sharing.

Autos können in der Produktionshallen aufgrund fehlender Bauteile nicht mehr fertiggestellt werden.

Störungen in den logistischen Netzwerken treten vermehrt auf, seit die Corona-Pandemie zur Schließung von Häfen und wichtigen Produktionsanlagen geführt hat. Doch mittlerweile ist die Bandbreite der Ursachen viel komplexer geworden. Weit über die Hälfte der deutschen Unternehmen sind mehr oder weniger stark von Lieferschwierigkeiten betroffen, wie eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) schon zu Beginn des Jahres zeigte.

Deutsche Unternehmen stellen Spezialprodukte her, die in den weltweiten Lieferketten häufig eine entscheidende Rolle spielen. „Es gibt kaum Autos, Smartphones oder Maschinen, die ohne in Deutschland produzierte Schlüsselkomponenten funktionieren“, sagt Ralf Stoffels, Vizepräsident des DIHK.

Die Lieferkettenprobleme sind eine Gemeinschaftsaufgabe

Dies müsse vor allem die Politik berücksichtigen und die massiven Störungen in den Lieferketten gemeinsam mit der Wirtschaft in den Griff bekommen. Denn Deutschland ist von den Lieferkettenproblemen besonders stark betroffen. Die Außenhandelsquote, also der Anteil der Im- und Exporte am Bruttoinlandsprodukt, beträgt laut DIHK 88 Prozent – der höchste Wert aller G7-Staaten.

Die aktuellen Probleme zu lösen,  ist  eine herausfordernde Gemeinschaftsaufgabe. Sie reicht von Rohstoffknappheit und Personalmangel über Naturkatastrophen hin zur Sperrung wichtiger Verkehrswege, wie beispielsweise dem Suezkanal oder wichtiger Bahn- und Autobahnstrecken in Deutschland.

Deutsche Unternehmen spüren eine deutliche Verschärfung der Lieferengpässe auch infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. So melden rund 60 Prozent der Firmen zusätzliche Störungen in der Lieferkette und Logistik, wie aus einer Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervorgeht.

Weltweite Liefernetze sind störanfällig, doch ist das ein Nachteil der Globalisierung? Für Prof. Wolfgang Kersten, Leiter des Instituts für Logistik und Unternehmensführung an der TU Hamburg, hat die internationale Arbeitsteilung trotz aller aktuellen Lieferengpässe weiterhin Bestand. Eine flächendeckende Rückholung der internationalen Beschaffung hält er weder für sinnvoll noch für realisierbar.

„Lieferketten sind keine Lichterketten, die man aus- oder einschaltet“

Prof. Evi Hartmann von der Universität Erlangen-Nürnberg sieht das ähnlich. Sie gibt zu bedenken, dass Lieferketten keine Lichterketten sind, „die man in Sekundenschnelle aus- oder einschaltet. Alternative Lieferanten zu finden und einzubinden, sind umfangreiche Prozesse“, sagt die Inhaberin des Lehrstuhls Betriebswirtschaft.

Die vorherrschende Logik der Just-in-time-Lagerhaltung hat dazu geführt, dass Stellflächen für Container und auch Stückgüter fehlen. „Aber Unternehmen können nicht zur Sicherheit kurzfristig 20 bis 30 Prozent mehr Lagerbestand aufbauen. Deutschland gehen inzwischen verfügbare Lagerflächen aus, Genehmigungsverfahren dauern zu lange und es fehlt schlicht an möglichen Gewerbeflächen“, so Hartmann.

Auch die Blocklager auf den Containerterminals in Hamburg werden immer voller.

Rohstoffpreise explodieren regelrecht

Beim produzierenden deutschen Mittelstand können viele Bestellungen aufgrund des Rohstoffmangels gar nicht abgearbeitet werden. Für manche Rohstoffe sind die Preise in den vergangenen Monaten regelrecht explodiert. Infolgedessen geht es laut Stoffels (DIHK) für einige Mittelständler schon um die Existenz: „Sie bekommen selbst weniger Vorprodukte oder diese – wie auch Energielieferungen – nur zu sehr hohen Preisen.“

Diese Kostensteigerungen können sie nur teilweise an ihre Kunden weitergeben und wegen der Verzögerungen in der eigenen Lieferkette selbst immer schlechter liefern. Und wenn die Ware fertig ist, kann sie vielleicht gar nicht abgeholt werden. Denn es stehen viel zu wenig Lokführer und Trucker zur Verfügung.

Autonomes Fahren soll den Fahrermangel gegensteuern. Auf unseren Hamburger Teminal verliefen erste Tests dazu erfolgreich.

Lokführer und Lkw-Fahrer dringend gesucht!

Besonders der Fahrermangel ist ein dringendes Problem, das durch den Krieg in der Ukraine verschärft wird. Laut DIHK arbeiten in Polen etwa 100.000 Lkw- Fahrer aus der Ukraine. „Die stehen nun nicht mehr zur Verfügung.“ In Deutschland betrage der Anteil ukrainischer Fahrer etwa 7 Prozent. Dazu kommt, dass Speditionen und Transportunternehmen unter hohem Kostendruck wegen gestiegener Kraftstoff- und Energiepreise stehen.

In der Luftfracht führte die Sperrung von wichtigen Lufträumen infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zu längeren Flugzeiten, geringerer Zuladekapazität und höherem Kerosinbedarf. Auch in diesem Segment werden weiter steigende Transportkosten und zeitliche Verzögerungen in den Supply Chains erwartet.

Schiffe übernehmen im internationalen Warenaustausch die überwiegende Mehrzahl der Gütertransporte. Zu den zentralen Knotenpunkten des globalen Netzwerks gehören deshalb die Seehäfen. Auf vielen Kontinenten gibt es wichtige Transshipment-Hubs, in denen sich vorhergehende Verspätungen, etwa durch Hafenschließungen oder Staus bei den Hinterlandverbindungen, potenzieren.

Die METRANS ist Marktführer für Containertransporte im Seehafenhinterlandverkehr mit Mittel-, Ost- und Südosteuropa.

Perfekter Sturm wirbelt Schifffahrt durcheinander

Der Umschlag von Waren, die meist in Containern geliefert werden, braucht seine Zeit, und auch hier sind die Personalressourcen begrenzt bzw. in Pandemiezeiten nicht immer verfügbar. Angela Titzrath, Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG, spricht von „sich gegenseitig verstärkenden Gründen“, die in der Schifffahrt vieles durcheinanderwirbelt.

Bei der HHLA sei die wichtigste Ursache für die verzögerte Abfertigung von Schiffen der fehlende Platz für weitere Container. Schon seit einigen Wochen würden Importcontainer nicht mehr abgeholt und verstopften die Containerlager. Titzrath betont, dass die HHLA versucht gegenzusteuern: „Wir haben zusätzliche Flächen geschaffen, um Container auszulagern. Wir versuchen, durch mehr Flexibilität mehr Kapazität aufzubauen sowie Export und Import gemeinsam mit allen Beteiligten zu steuern. Aber das müssen alle Häfen gleichermaßen leisten, ebenso wie alle Beteiligten der Lieferkette, auf dem Wasser, auf der Straße und auf der Bahn.

„Wir Kunden sind verwöhnt.“

Ein Gespräch mit Angela Titzrath, über das Chaos auf den Weltmeeren, gestörte Lieferketten und überzogene Erwartungen im Online-Handel. 

Das ausführliche Interview

Die gleiche Schlussfolgerung zieht Gaby Bornheim, Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder: „Es ist Sand im Getriebe, den wir nur gemeinsam wieder aus den Lieferketten rausbekommen werden.“

„Das vermehrte Teilen von Daten kann helfen!“

Prof. Dr.-Ing. Carlos Jahn sieht aktuellen Schwierigkeiten, will die Situation allerdings nicht über-dramatisieren. Als Leiter des Instituts für Maritime Logistik an der TU Hamburg und Leiter des Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen CML hat er den Überblick. Gerade die maritime Logistik sei ein hoch effizient ineinandergreifendes System: „Seit Jahren arbeiten Reeder, Häfen, Logistik, Dienstleister gut zusammen, sonst würden die Ketten heute gar nicht mehr funktionieren. Kooperation ist also in der maritimen Logistik die Basis.“

Jahn weist aber darauf hin, dass in letzter Zeit eine wichtige Komponente hinzugekommen sei, und zwar das Teilen von Daten. „Das ist etwas wirklich Neues, und hier könnte noch mehr Kooperationswillen helfen, dass kleinere Störungen in der Lieferkette sich gar nicht erst zu den aktuellen Dimensionen auswachsen.“

 

Der Beitrag entstand mit Unterstützung der DVZ, Deutsche Verkehrs-Zeitung, veröffentlicht 21. Juli 2022.

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